Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko

e7a2e022d3d7ef0fe05da5862fc53971Seit Montag beteiligt sich die Bundespolizei an der zweiwöchigen, EU-weiten Polizeioperation „Mos Maiorum“. Dies hat das Bundesinnenministerium auf meine Nachfrage bestätigt. Kontrollen sollen demnach täglich an Bahnhöfen, in Zügen, am Flughafen und in Grenznähe stattfinden. Neben Einsätzen im Rahmen des polizeilichen Regeldienstes kommen weitere „Schwerpunktmaßnahmen“ hinzu.

Welche das sind, erklärt die Bundesregierung nicht. Gegenüber Journalist/innen hieß es aber seitens der Bundespolizei, diese erweiterten Kontrollen erfolgten „anlassbezogen“. Bloß welche „Anlässe“ sind gemeint? Bei vergleichbaren Operationen wurden in Deutschland hierfür Autobahnen in Süddeutschland besonders bestreift. Berichten zufolge finden Kontrollen vor allem an großen Bahnhöfen statt. Inwiefern sich auch Länderpolizeien an „Mos Maiorum“ beteiligen, wird von der Bundesregierung nicht mitgeteilt, obwohl beim Bundesinnenministerium eigens ein Inspekteur der Bereitschaftspolizeien der Länder angesiedelt ist.

Das Schengener Abkommen schreibt die Aufhebung von Grenzkontrollen fest, ist aber von Polizeimaßnahmen und Datenbanken längst durchlöchert und ausgehöhlt. Durch die „Gemeinsamen Polizeioperationen“ wird die viel gepriesene Freizügigkeit in der EU vollends Makulatur. Zumal die Maßnahmen in ihrem Umfang und ihrer Dauer weiter zunehmen.

Maßnahmen wie „Mos Maiorum“ gelten als „Gemeinsame Polizeioperationen“ („Joint Police Operations, JPO) und sollen das Schengener Abkommen ergänzen. Sie sind seit Jahren in Mode und werden von der jeweils amtierenden EU-Präsidentschaft organisiert und ausgewertet. In der gesamten EU sind dann bis zu 20.000 Polizeikräfte im Einsatz, um die 10.000 Personen werden dabei gewöhnlich mit ungültigen Papieren aufgegriffen. Allerdings gibt es eine Reihe weiterer JPO: Denn jährlich organisieren auch die Verkehrspolizeien, die Flughafenpolizeien oder die Eisenbahnpolizeien solche Operationen. Zwar haben diese dann einen anderen Zweck, etwa die Überprüfung der Fahrtüchtigkeit oder das Auffinden von Drogen. Stets werden dabei aber auch Migrant/innen ohne Papiere erfasst, die dann entweder in Abschiebehaft genommen werden oder anderen aufenthaltsrechtlichen Maßnahmen unterzogen werden. Die kriminalpolizeiliche EU-Agentur Europol hatte kürzlich eine JPO veranstaltet, die eigentlich gegen Schmuggel von Waffen, Drogen oder anderen Gütern gerichtet war. Auch die Fluchthilfe gilt der Kriminalpolizei als Schmuggel, weshalb es die Polizeien besonders auf Migrant/innen abgesehen hatten. 170 Personen wurden festgenommen, weil sie als „Schleuser“ verdächtigt werden. Das wird als Erfolg gefeiert. Verschwiegen wird aber,  dass auch um die 10.000 Menschen ohne gültige Papiere kontrolliert worden waren, die zwar als „Opfer“ bezeichnet werden. Ausweislich der Statistik wurden trotzdem mehrere Hundert von ihnen verhaftet.

Angeblich steht auch bei „Mos Maiorum“ das Aufklären von „Schleusungsrouten“ im Mittelpunkt. Die Aussage verschleiert die Dimension solcher Kontrollaktionen: Natürlich dienen sie vor allem dem Feststellen und gegebenenfalls Festnehmen ausreisepflichtiger Personen.  Mich stört, dass auch das Bundesinnenministerium Geflüchtete mit dem Vokabular von „Schleppern“ und „Schleusern“ in eine Passivrolle drängt. Es wird so getan, als würden Migrant/innen zur Flucht gezwungen. Besonders deutlich wird das, wenn Geflüchtete bei Operationen wie „Mos Maiorum“ als „Opfer“ bezeichnet werden, aber trotzdem in Abschiebehaft landen. Die Begriffe sollen jede Fluchthilfe auch aus humanitären, persönlichen oder politischen Motiven kriminalisieren. Wenn die EU stattdessen Korridore einrichtet, um den Geflüchteten den Weg über das Mittelmeer zu ersparen, erledigt sich das Problem der lebensgefährlichen und teuren Überfahrten von selbst. Dies fordert auch die Bürgermeisterin der sizilianischen Insel Lampedusa, wo viele Geflüchtete nach lebensgefährlichen Überfahrten über das Mittelmeer ankommen – und bereits Tausende ertrunken sind.

Die Bundesregierung bekräftigt, dass die JPO’s Statistiken für die EU-Grenzagentur Frontex liefern, um zukünftige Migrationsströme aufklären und vorhersagen zu können. Vierteljährlich werden „Risikoanalysen“ herausgegeben, die als Grundlage weiterer Polizeimaßnahmen dienen. Die Agentur mit Sitz in Warschau bekommt durch den ständigen Informationszuwachs quasi-geheimdienstliche Kompetenzen, denn sie selbst entscheidet wohin die Daten weitergeleitet werden. Auf dieser Grundlage werden dann weitere Polizeimaßnahmen geplant. Offiziell darf Frontex nur an den EU-Außengrenzen tätig werden, in Deutschland sind dies Flug- und Seehäfen. Deshalb war die Agentur bislang nur am Rande an JPO‘s beteiligt. Bei „Mos Maiorum“ wird erstmals gleichzeitig an den Rändern der Festung Europa verstärkt kontrolliert. Frontex ist deshalb als Teilnehmer an Bord, auch wenn die Presseabteilung dies in einer Stellungnahme anders darstellt.

Erstmals wird eine JPO aber von Aktivist/innen von antirassistischen Gruppen aufs Korn genommen. Seit Wochen werden mehrsprachige, internationale „Reisewarnungen” ausgedruckt und plakatiert. In vielen Städten haben bereits Kundgebungen oder Solidaritätsaktionen stattgefunden. Die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch, die das „Mos Maiorum” zugrunde liegende Dokument geleakt hatte, wertet dies in einem eigenen täglich aktualisierten Dossier aus.

Ich möchte aber noch auf die Webseite map.nadir.org aufmerksam machen, die mich besonders freut. Dort werden Meldungen gesammelt, wann und wo Polizeikontrollen gegen Migrant/innen beobachtet wurden. Auf diese Weise drehen wir den Spieß um stellen die Kontrollen visuell dar. Dadurch wird die Dimension der alltäglichen rassistischen Kontrollen auf drastische Weise deutlich.

Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

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