Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko

Kolumne auf linksfraktion.de von Andrej Hunko, für DIE LINKE Mitglied im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Im Jahr 1990, dem Jahr des großen Umbruchs in Osteuropa, erschien der fiktive Film „Der Marsch“ nach dem Buch von William Nicholson. Das Drama erzählt die Geschichte von Tausenden Menschen aus Afrika, die sich auf Booten nach Europa aufmachen. Was damals als apokalyptische Fiktion erschien, ist inzwischen von der Realität überholt worden. Viele Menschen hatten vor 25 Jahren die Hoffnung, das Ende des Kalten Krieges und der atomaren Bedrohung würde den Weg für eine Welt freimachen, die sich den wirklichen Menschheitsproblemen stellt, dem Hunger, der Unterentwicklung, der Arbeitslosigkeit.

Heuchlerische Aufregung über Schlepper

Das Gegenteil ist eingetreten: Ein neuer Zyklus von Kriegen begann, im Irak 1991 und 2003, in Jugoslawien 1999, in Afghanistan 2001, in Libyen 2011 und in Syrien seit 2011. Es sind genau diese Regionen, aus denen heute die meisten Flüchtlinge kommen. Neben Kriegen und Rüstungsexporten treiben die neoliberalen Abkommen mit den Ländern im Osten und Süden der EU in die Flucht. Die neoliberale europäische Integration verband einen „Europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“, die Bewegungsfreiheit innerhalb der EU, mit dem Versuch, an den Außengrenzen ein immer effektiveres Abschottungsregime aufzubauen. „Um Europa keine Mauer“ riefen wir Linke Anfang der 90er Jahre auf Demonstrationen. Die technologisch immer perfektionierteren Abschottungsversuche an einigen Stellen der EU-Außengrenzen führten nur zu immer riskanteren Fluchtrouten an anderen Stellen. Mehrere 10.000 Menschen sind deshalb inzwischen im Mittelmeer ertrunken.

Die Illegalisierung der Flucht führte zur Illegalisierung der Fluchthilfe und schuf den „Markt für Schlepper“, ähnlich, wie die Illegalisierung der Drogen den Markt für die Drogenmafia oder die Alkohol-Prohibition in den USA der 30er Jahre den Markt für die Alkohol-Mafia schuf, die wir heute meist nur aus Filmen kennen. Die zweifellos oftmals menschenverachtenden Schlepper sind das Symptom dieser Illegalisierung, die Aufregung über diese „Schlepper“ ist dann heuchlerisch, wenn gleichzeitig an der Illegalisierierung der Flucht festgehalten wird. Die Vorstellung der militärischen Bekämpfung der Schlepper, die beispielsweise dem aktuellen EU-Mandat EUNAVFOR Med (European Union Naval Force – Mediterranean) zu Grunde liegt, ist ebenso menschenverachtend, wie viele Schlepper selbst. So wie die Alkoholmafia in dem Augenblick verschwand, als der Alkohol legalisiert wurde, so verschwindet das Geschäftsmodell der „Schlepper“ in dem Augenblick der legalen Einreisemöglichkeit in die EU.

Wofür steht Europa?

In der aktuellen Flüchtlingskrise kollabieren auch die innereuropäischen Asyl- und Flüchtlingssysteme. Dublin-II ist gescheitert, das muss jetzt offen ausgesprochen werden. Auch ein Quotensystem würde scheitern, ganz einfach deshalb, weil Flüchtlinge Menschen sind, die Verwandte und Freunde haben und auf Rassismus reagieren. Statt eines Quotensystems müsste innerhalb der EU ein finanzieller Ausgleichsmechanismus geschaffen werden, der diejenigen Länder unterstützt, die mehr Flüchtlinge aufnehmen. So wie innerhalb Deutschlands der Bund die Kommunen unterstützen muss, um eine Willkommenskultur zu fördern.

Die aktuelle Flüchtlingskrise wirft aber auch die Frage nach der grundsätzlichen Ausrichtung der EU auf: Soll weiter an einer „Festung Europa“ gebaut werden, umringt von einem Kordon völlig wirtschaftlich abhängiger Länder, die kaum die Möglichkeit haben, eigenständige Sozialpolitik zu betreiben und in die die Flüchtlingsabwehr hineinverlagert wird? Oder soll die EU endlich anfangen, die Einreise zu legalisieren und zugleich eine Nachbarschaftspolitik betreiben, die auf Kriege und Rüstungsexporte verzichtet und die soziale und wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder fördert, im Balkan, wie in Afrika. Diese Diskussion muss jetzt geführt werden. Meines Erachtens wäre nur die letzte Option mit den viel beschworenen europäischen Werten vereinbar. linksfraktion.de, 1. September 2015

Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

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