Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko

Ukraine: Die Linke ist so demoralisiert, daß von ihr momentan nicht viel zu erwarten ist. Ein Gespräch mit Andrej Hunko. Interview: Peter Wolter

Sie haben am Wochenende in Kiew zahlreiche Gespräche geführt – wie ist die Lage der Linken dort?

Nicht gut. Die Zentrale der Kommunistischen Partei z. B. war seit dem Umsturz am 22. Februar von Faschisten besetzt. Vor drei Tagen wurde sie geräumt, nach Aufforderung durch die Regierung. Seitdem wird das Gebäude offenbar nicht mehr benutzt, es wird von der Polizei bewacht und die faschistischen Symbole, die die Besetzer auf die Fassade geschmiert hatten, sind übermalt worden. Ähnliche Vorkommnisse wie diese Besetzung hat es auch anderswo gegeben, vor allem im Westen des Landes. Ich habe starke Zweifel, ob die Partei zur Zeit arbeitsfähig ist.

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Und wie steht es mit der außerparlamentarischen Linken?

Die ist gespalten, ein Teil ist gegen die Maidan-Bewegung, ein anderer dafür. Letzterer Flügel hatte mich für das Wochenende zu einer Konferenz eingeladen, an der auch einige Gewerkschafter teilnahmen. Zu denen, die dagegen sind, gehört die Gruppe »Borotka«, eine linke Abspaltung des Kommunistischen Jugendverbandes.

Mit einigen ihrer Vertreter habe ich mich am Sonntag auch getroffen. Nach ihrer Einschätzung sind die Ereignisse in der Ukraine durchaus mit dem Vorgehen des Westens in Libyen, in Venezuela oder in Syrien vergleichbar: Es gehe um den »regime change«, sie seien ein Resultat der US-Strategie.

Sie waren auch auf dem Maidan – welchen Eindruck haben Sie gewonnen?

Ich bin mit gemischten Gefühlen über den Platz gegangen. Zum einen erlebt man dort klassische Strukturen von Bewegungen, wie man sie auch im Westen kennt. Zum anderen fällt auf, daß viele Leute Kampfanzüge tragen und daß zahlreiche Militärzelte aufgebaut sind. An den Durchgängen der Barrikaden stehen ebenfalls Uniformierte, Die Lage ist allerdings nicht mit der vor einigen Wochen vergleichbar, als sich Zehntausende auf dem Platz aufhielten.

Welche Stimmung haben Sie bei Ihren Kontakten zu Linken wahrgenommen?

Parallel zur Präsidentschaftswahl am 25. Mai gibt es auch Kommunalwahlen. Einige Leute der Pro-Maidan-Linken wollen auf der Liste der Sozialistischen Partei kandidieren – ich hatte aber nicht den Eindruck, daß sie damit rechnen, auch gewählt zu werden. Borotka sieht ebenfalls eher pessimistisch in die Zukunft, diese Gruppe hat allerdings in der ostukrainischen Industriestadt Charkow starken Zulauf.

Was erwartet die ukrainische Linke an Solidarität aus dem Westen?

Bei der Konferenz, von der ich sprach, wurde unter anderem kritisiert, es habe vor allem aus der Linken in Deutschland viel zu wenig Unterstützung für die Anfänge der Maidan-Bewegung gegeben. Das hat natürlich damit zu tun, wie man diese Bewegung einschätzt …

Das wichtigste ist meiner Meinung nach, zunächst einmal den Kontakt aufzunehmen. Ich hatte den Eindruck, daß es für meine Gastgeber wichtig war, daß ich überhaupt gekommen war – auch wenn ich in mancherlei Hinsicht anderer Meinung war als sie. Was erwartet wird, sind Austausch, Diskussion, Einladungen. Meine Gesprächspartner möchten, daß die unkrainische Linke nicht isoliert ist.

Sie haben nicht nur mit Linken gesprochen, auch mit Abgeordneten und Politikern diverser Parlamentsparteien. Wie sehen sie die Situation?

Nicht mit allen Parteien, zu »Swoboda« habe ich jeden Kontakt abgelehnt. Selbstverständlich stand die Lage in der Ostukraine im Mittelpunkt der Gespräche, wobei die Schuld daran vorwiegend Rußland und dessen Präsident Wladimir Putin in die Schuhe geschoben wurde, vor allem von Vertretern der »Vaterlandspartei« und der Klitschko-Partei »Udar«. Dieses Thema dominiert alles andere – wenn ich z. B. das Problem mit den Oligarchen ansprach, wurde mir entgegnet, daß es zur Zeit nicht lösbar sei. Die geopolitische Sicht überlagert jeden Blick auf die dringend notwendigen Reformen. Ich sprach auch mit dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Parlament, einem Vertreter der »Partei der Regionen«. Er sagte, es sei von höchster Dringlichkeit, daß eine internationale Untersuchung endlich aufklärt, wer für die Todesschüsse am 20. Februar auf dem Maidan verantwortlich war. Daß dies nicht geschehehen sei, sei mit ein Grund für die Unruhen im Osten des Landes.

Andrej Hunko (Die Linke) ist Mitglied des EU-Ausschusses des Deutschen Bundestages und der parlamentarischen Versammlung des Europarats

Quelle: junge Welt, 15.04.2014

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