Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko

algerien Tunesien marokko niema movassatDie Drecksarbeit der Migrantenabwehr wird nordafrikanischen Staaten übertragen. Deutsche Konzerne profitieren

Von Andrej Hunko

Nicht nur die Türkei, auch die Staaten Nordafrikas werden zu Torwächtern der EU bei der Flüchtlingsbekämpfung gemacht. Dies hat der Besuch des deutschen Innenministers Thomas de Maizière in Marokko, Algerien und Tunesien in der vergangenen Woche in aller Deutlichkeit gezeigt. Angaben der Bundesregierung in einer Antwort (Drucksache 18/7724) auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion zur deutschen Beteiligung an zivil-militärischen Ausbildungsmissionen in Libyen und Tunesien hatten dies schon gezeigt (sieh auch jW vom 4.3.). Einerseits sollen diese Staaten dazu gebracht werden, Geflüchtete »zurückzunehmen«. Die katastrophale Menschenrechtssituation in den Ländern wird dabei ausgeblendet; es geht, nach den Worten des Innenministers, um einen »Interessenausgleich«. Andererseits sollen sie, gemeinsam mit Libyen, im Rahmen einer vorverlagerten Migrationsbekämpfung die Außengrenzen der EU weiter abschotten helfen.

Neben Algerien und Marokko will die Bundesregierung nun auch Tunesien als »sicheres Herkunftsland« einstufen. Die Europäische Kommission verhandelt derzeit ein Abschiebeabkommen mit der Regierung in Tunis. Im Gegenzug wird der nordafrikanische Staat bei der Militarisierung seiner Grenzanlagen unterstützt. Mit dieser Vorverlagerung der EU-Außengrenzen setzt sich die Bundesregierung über wesentliche Ziele der Revolten des »arabischen Frühlings« ab 2011, in denen die Menschen unter anderem für Bewegungsfreiheit gekämpft hatten, hinweg. Heute haben vor allem junge Erwachsene kaum Perspektiven. Weiterhin werden kritische Medien zensiert und Aktivisten verfolgt. Homosexualität wird mit Gefängnis bestraft.

Die Bundesregierung baut die sogenannte Sicherheitszusammenarbeit mit der ohnehin viel zu mächtigen Polizei Tunesiens aus. Das Bundeskriminalamt schult die Behörden in Ermittlungsmethoden zur »Terrorismusbekämpfung«. Es ist jedoch davon auszugehen, dass diese Kenntnisse auch gegen die Opposition genutzt werden. Ein gemeinsames Grenzpolizeiprojekt wurde nun erneut erweitert, die Bundesregierung beteiligt sich am Aufbau militärischer Überwachungsanlagen an der Grenze zu Libyen. Hiervon dürften – wie in Algerien – vor allem europäische Rüstungskonzerne profitieren. Die von de Maizière in Tunesien angepriesenen biometrischen Systeme spülen ebenfalls Geld in die Kassen deutscher Konzerne.

Mittlerweile steht auch das neue deutsch-tunesische Sicherheitsabkommen kurz vor der Unterzeichnung. Als Gegenleistung haben die G-7-Staaten unter deutscher Führung massive Investitionen in drei Infrastruktur-Großprojekte versprochen.

Es ist zu vermuten, dass die Anstrengungen vor allem die Kontrolle Libyens zum Ziel haben, das nach der westlichen Militärintervention 2011 im Chaos versunken ist. Nach dem Scheitern einer EU-Sicherheitsmission im Nachbarland soll diese nun neu aufgelegt werden; etwas ähnliches wird von der sogenannten Unterstützungsmission der Vereinten Nationen »UNSMIL« vorbereitet. Nach Medienberichten operieren bereits Sondereinsatzkommandos aus Frankreich und den USA in Libyen, auch die Bundeswehr plant Kooperationsprojekte von Tunesien aus. Die Regierung in Tunis habe sich laut der Antwort auf die erwähnte kleine Anfrage hier »offen gezeigt«.

Die Zielstellung ist somit klar: Die Länder des »arabischen Frühlings« sollen zu Bollwerken der europäischen Migrationsabwehr ausgebaut werden, was in der aktuellen »Flüchtlingskrise« die Frage nach der grundsätzlichen Ausrichtung der EU aufwirft. Hierzu könnte eine Nachbarschaftspolitik gehören, die eine soziale und wirtschaftliche Entwicklung fördert und dadurch Fluchtursachen bekämpft. Doch anstatt Schutzsuchende solidarisch zu unterstützen, läuft die »europäische Lösung« darauf hinaus, die Drecksarbeit der Grenzsicherung auf die Türkei und die Länder Nordafrikas zu übertragen – und dafür bei Menschenrechtsfragen nicht so genau hinzuschauen.

Erschienen in Junge Welt vom 7. März 2016.

Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

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