Rede im Bundestag am 15.06.2012

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren,

scheinbar sind wir uns alle einig, dass die Übersetzung aller relevanten EU-Texte eine notwendige Voraussetzung für die effektive parlamentarische Kontrolle der europäischen Politik ist. Das Problem ist doch Folgendes: Während sich manche hier im Hause damit brüsten, in Europa würde wieder „deutsch gesprochen“ liegen relevante EU-Dokumente, über die wir entscheiden sollen, oft nicht oder nicht rechtzeitig in deutscher Übersetzung vor. Ich bin der Meinung, dass jede und jeder Abgeordnete in der Lage sein sollte, diese EU-Dokumente in seiner oder ihrer Muttersprache zu prüfen, um dann entscheiden zu können.

Es geht hier also nicht um Deutschtümelei, sondern darum, dass gute Fremdsprachenkenntnisse keine Voraussetzung sein dürfen, gewissenhaft ein Bundestagsmandat auszuüben.
Der Antrag von CDU/CSU und FDP geht zunächst auf die drei entscheidenden Ebenen dieses Problems ein:

Erstens auf die Kommission, die zahlreiche Anhänge und Arbeitspapiere nicht übersetzt. Die Antragssteller begründen ihre Kritik mit einer Verordnung von 1958, verkennen dabei aber, dass nach dieser nur „Verordnungen und andere Schriftstücke von allgemeiner Geltung“, also mit legislativem Charakter, übersetzt werden müssen. Der reale institutionelle Hintergrund des Problems, vor allem die Verkleinerung der deutschen Sprachabteilung durch Stellenabbau wird nicht angesprochen. Nun soll ein Marktmodell geprüft werden, das nichts anderes bedeutet, als ein Outsourcen öffentlicher Stellen auf den prekären und unregulierten Markt. Stattdessen müsste hier politisch entschieden werden, dass weitaus mehr Übersetzungen erforderlich sind, folglich die Stellenkürzungen zurückgenommen, entsprechend neue Stellen geschaffen werden müssen und die Finanzierung dafür klar geregelt werden muss. Diese Konsequenz umgehen Sie. Ihre Forderung das durch Umschichtungen im EU-Haushalt zu bewerkstelligen dürfte die Durchsetzbarkeit nicht gerade erleichtern.

Zweitens werden die Probleme im Rat der EU angesprochen, auf dessen Entscheidungen die deutsche Bundesregierung ja erheblichen Einfluss hat. Hier hätte die Kritik nach meinem Geschmack deutlicher ausfallen müssen.

Drittens werden die Probleme der in der Eurobankenkrise neu geschaffenen Systeme wie ESM und Fiskalpakt aufgeworfen, die außerhalb der EU-Institutionen stehen. Für diese wurde jedoch keine Übersetzungsregelung vereinbart, was die ohnehin geschwächte parlamentarische Kontrolle weiter untergräbt.

Der Antrag der Koalition hat also auf den ersten Blick ein durchaus unterstützendwertes Anliegen, nämlich die demokratischen Mitwirkungsrechte des Parlaments in EU-Fragen durch gute und zeitnahe Übersetzungen zu stärken. Denn auf all diesen Ebenen bestehen tatsächlich gravierende Probleme – nur sind die Regierungsfraktionen offenbar nicht bereit, diese Probleme ernsthaft und konsequent anzugehen. Es spricht jedoch für sich, dass Sie die Erfüllung der Bundestagsforderungen nicht mit der Zustimmung der Bundesregierung zum mehrjährigen Finanzrahmen der EU verknüpfen wollten, wie DIE LINKE es in einem Änderungsantrag im EU-Ausschuss vorgeschlagen hat. Aber ein Antrag nach dem EUZBBG § 9 wäre doch das mindeste Druckmittel gewesen, um hier zu einer befriedigenden Lösung zu kommen. Denn dann hätte die Bundesregierung begründen müssen, warum welche Belange der Stellungnahme nicht berücksichtigt wurden und hätte sich ggf. auch einer Plenardebatte stellen müssen. So bleibt der Antrag jedoch nur wirkungsloses Bekenntnis, das verschleiert, welches Desinteresse die deutsche wie auch andere Regierungen an einer notwendigen parlamentarischen Kontrolle haben.