Rede von Andrej Hunko in der Bundestags-Debatte am 19. Januar 2023 anlässlich des 60. Jahrestages der Unterzeichnung des Deutsch-Französischen Freundschaftsvertrages, kurz Élysée-Vertrag

Eine Besonderheit des Élysée-Vertrages ist die zivilgesellschaftliche Komponente, die auch eine Aussöhnung zwischen der französischen und deutschen Bevölkerung ermöglichte. Frankreich strebt eine größere europäische Souveränität und eine koordiniertere Wirtschafts- und Sozialpolitik an. In diesem Sinne sollte Deutschland ein bisschen französischer werden.

https://youtu.be/Zcm2X_4eBkc

Vizepräsidentin Yvonne Magwas: Für die Fraktion Die Linke hat das Wort Andrej Hunko.

(Beifall bei der LINKEN)

Andrej Hunko (DIE LINKE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die deutsch-französische Aussöhnung ist in der Tat eine historische Errungenschaft, ein wunderbares Ereignis und vielleicht auch ein Stück weit ein Vorbild für andere Regionen in der Welt, wo sich vermeintliche Erbfeinde gegenüberstehen. Deswegen unterstützen natürlich auch wir die Erinnerung an den Élysée-Vertrag und auch diese Debatte.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Christian Petry [SPD])

Aber es war ja nicht nur der Élysée-Vertrag; ich werde gleich noch darauf zu sprechen kommen. Schon einige Jahre vor dem Élysée-Vertrag war es ja möglich, dass die Frage zum Status des Saarlandes friedlich mit einer Volkabstimmung geklärt werden konnte. Das war wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg eigentlich sensationell. Vielleicht ist auch das ein Modell für andere Regionen in der Welt.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Christian Petry [SPD] – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wohl wahr!)

Der Élysée-Vertrag von 1963 war ja nicht nur ein Staatsvertrag, wo auf hoher politischer Ebene Dinge geregelt wurden. Er hatte auch eine große zivilgesellschaftliche Komponente. Ich selbst bin ein Stück weit ein Kind des Élysée-Vertrages. Als elfjähriger Aachener Junge bekam ich im Fußballverein gesagt: Nächsten Sonntag geht es nach Paris zu einem Auswärtsspiel. Das fand, wie ich später verstanden habe, im Rahmen eines Austausches statt, der auf den Élysée-Vertrag zurückging. Ich erinnere mich sehr gut, wie ich als Elfjähriger Mitte der 70er-Jahre in Paris in eine französische Familie kam, an die feierliche Überwindung, die es sie gekostet hat, mich als Deutschen aufzunehmen. Das sind Bilder, die man nicht vergisst und die dazu beigetragen haben, dass auch zwischen den Bevölkerungen Deutschlands und Frankreichs diese Aussöhnung stattgefunden hat.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir erleben das ja immer wieder: Es gibt große Reden über den deutsch-französischen Motor, die deutsch-französische Aussöhnung, manche Sonntagsreden; aber die Wirklichkeit sieht leider ein bisschen schwieriger aus. Ich will daran erinnern, dass die wichtige deutsch-französische Initiative im Rahmen des Normandie-Formats – das Minsker Abkommen war ja eine deutsch-französische Initiative – leider gescheitert ist. Es wäre sehr, sehr gut gewesen, man hätte da mehr Nachdruck aufgebracht. Es ist schon angesprochen worden: Das 200-Milliarden-Euro-Paket, das hier beschlossen wurde, war nicht abgestimmt. Die F-35-Bestellung bei den USA war nicht abgestimmt. Auch das 100-Milliarden-Euro-Aufrüstungspaket war nicht abgestimmt. Ihre Reise nach China, Herr Scholz – er ist nicht mehr da –, war auch nicht abgestimmt, obwohl Macron gerne mitgereist wäre. Es gibt viele Probleme; die gab es immer. Mein Eindruck ist allerdings: Sie sind größer geworden. Zwischen deutscher und französischer Außen-, Wirtschafts- und Industriepolitik gibt es immer wieder grundlegende Unterschiede. Ich sehe das auch in der Europapolitik. Frankreich neigt dazu, mehr in Richtung europäische Souveränität zu schauen, das heißt, auch ein bisschen unabhängiger von den USA zu werden. Es neigt dazu, mehr koordinierte Wirtschaftspolitik zu machen. Ich finde, in diesem Sinne können wir in Deutschland hier ein Stück weit französischer werden. Vielleicht wäre das eine richtige Botschaft vor dem Gipfel am Wochenende.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Christian Petry [SPD])