Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen
Frage von Andrej Hunko an die Bundesregierung bezüglich der Einrichtung der Agentur für das Betriebmanagement von IT-Großsystemen im Bereich Freiheit, Sicherheit und Recht, insbesondere in Bezug auf ihre Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsprinzip und der Notwendigkeit ihrer Errichtung.
Antwort der Staatssekretärin Cornelia Rogall-Grothe vom 30. Dezember 2010
Die Bundesregierung ist der Einrichtung einer neuen Verwaltungsbehörde – auch wegen der grundsätzlich gegenüber weiteren EU-Agenturen bestehenden ablehnenden Haltung von Bundestag und Bundesrat – zunächst mit starken Vorbehalten entgegengetreten.
Die Verhandlungen in den ratsvorbereitenden Gremien zeigten jedoch,dass Deutschland mit dieser Haltung weitgehend isoliert war. Angesichts der Tatsache, dass unter dem Vertrag von Lissabon inzwischen qualifizierte Mehrheiten den Ausschlag geben, ist eine grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber der IT-Agentur nicht durchsetzbar. Die Bundesregierung hat sich daraufhin entschlossen, die Agenturgründung zu unterstützen, um in den Ratsverhandlungen die Gestaltung der Agentur mitbestimmen zu können.
Dahinter stehen folgende Erwägungen, über die der Deutsche Bundestag in der Umfassenden Bewertung vom 3. Mai 2010 (zu Ratsdokument 8151/10 vom 30. März 2010) unterrichtet wurde. Grundsätzlich sieht Artikel 74 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) (vormals Artikel 66 des EG-Vertrags) den Erlass geeigneter Maßnahmen zur Förderung und Stärkung der Verwaltungszusammenarbeit zwischen den zuständigen Dienststellen der Behörden der Mitgliedstaaten sowie zwischen diesen Dienststellen und der EU-Kommission in den Bereichen des Titels V des dritten Teils des AEUV (Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts) vor. Gemäß Artikel 17 des EU-Vertrags und Titel V des dritten Teils des AEUV hat die EU-Kommission die Kompetenz, derartige Maßnahmen im Bereich Freiheit, Sicherheit und Recht einzuleiten.
– Die Erforderlichkeit der Einrichtung einer effizienten, nachhaltigen und sicheren Verwaltung für die genannten IT-Systeme ist unbestritten
und auch in den SIS- und VIS-Verordnungen (SIS: Schengener Informationssystem, VIS: Visa-Informationssystem) vorgesehen.
– Von der gemeinsamen Verwaltung werden nicht nur Kostenersparnisse und Synergien beim technischen Betrieb, sondern auch eine einfacher kontrollierbare Umsetzung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen und ein verbesserter Geheimschutz erwartet.
– Gegen mögliche Alternativszenarien wie die Ansiedlung der Systeme bei den bereits existierenden Agenturen Frontex oder Europol sprechen die unterschiedlichen Aufgabenstellungen und „Kulturen“ dieser Agenturen. Die Übertragung der Durchführung auf einen Mitgliedstaat ist vor allem aus Sicht des Europäischen Parlaments verwaltungstechnisch zu intransparent.
– Aus Sicht der meisten anderen Mitgliedstaaten und auch des Europäischen Parlaments (siehe die Entschließung zum Stockholmer Programm vom 27. November 2009) bietet das Agenturszenario eine größere Gewähr für haushalterische und organisatorische Transparenz und Partizipation als die Aufgabenübertragung auf einen Mitgliedstaat.
Subsidiarität
Aus Sicht der Bundesregierung entspricht der Entwurf der Europäischen Kommission für die Agenturverordnung dem Subsidiaritätsprinzip. Denn das Ziel der vorgeschlagenen Maßnahme – die Übertragung des Betriebsmanagements der EU-IT-Systeme des zentralen SIS II, des zentralen VIS und der nationalen Schnittstellen und von Teilen der Kommunikationsinfrastruktur sowie der entsprechenden Elemente von Eurodac (europäische Datenbank zur Speicherung von Fingerabdrücken) auf eine EU-Verwaltungsbehörde – kann nur auf europäischer Ebene erreicht werden.
Aufgabe der betroffenen IT-Großsysteme (zunächst SIS, VIS und Eurodac) ist es, alle Mitgliedstaaten und assoziierten Partner flächendeckend und gleichberechtigt in den Datenaustausch im Rahmen des Anwendungsbereichs der jeweiligen Rechtsgrundlage einzubinden. Solche Vorhaben können nur als Gemeinschaftsprojekte realisiert werden, in deren Mitte jeweils ein zentrales System den Datenaustausch zwischen allen nationalen Datenbanken ermöglicht.
Dasselbe gilt für eine Verwaltungsbehörde, die derartig komplexe Systeme betreiben soll. Die genannten Systeme sind Grundlage für einen zeitnahen Informationsaustausch zwischen allen Mitgliedstaaten. Da die Mitgliedstaaten weiterhin für die datenanliefernden nationalen Systeme zuständig sind und somit auch künftig für „ihre Daten“ verantwortlich bleiben, werden ihre Rechte nicht eingeschränkt.
Schriftliche Fragen. Aus Drucksache 17/4350 des Deutschen Bundestags vom 30/12/2010.