Category: Reden

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Andrej Hunko (DIE LINKE): 

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 26. Februar 1965 trat die Europäische Sozialcharta in Kraft, nachdem Deutschland als fünftes Mitgliedsland die Sozialcharta ratifiziert hatte. Ich glaube, das ist schon ein Anlass, das zu feiern, zu würdigen und daran zu erinnern. Die Europäische Sozialcharta ist das erste völkerrechtliche Dokument, das nicht nur politische Rechte, sondern auch soziale Rechte verankert. Deutschland hat sich verpflichtet, diese sozialen Rechte zu respektieren. Wir fordern, dass das auch umgesetzt wird.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es geht dabei unter anderem um das Recht auf Arbeit, das Recht auf Koalitionsfreiheit, das Recht auf Kollektivverhandlungen und das Recht auf soziale Sicherheit. Aber wir müssen auch sagen: 50 Jahre nach Inkrafttreten der Sozialcharta sind auch in Deutschland viele soziale Rechte nicht gewährleistet.

Der Europäische Ausschuss für Soziale Rechte ist dafür verantwortlich, die Umsetzung der Europäischen Sozialcharta zu überprüfen. Dieser Ausschuss wird vom Ministerkomitee für sechs Jahre gewählt. In seinen jährlichen Berichten wird zum Beispiel   ich zitiere daraus, weil Sie bestimmte Dinge ja infrage stellen   das eingeschränkte Streikrecht in Deutschland kritisiert. Es wird kritisiert, dass eine faire Bezahlung nicht immer gewährleistet ist. Es wird kritisiert, dass Selbstständige viel zu wenig abgesichert sind,

(Zuruf von der LINKEN: Hört! Hört!)

dass junge Auszubildende im dritten Ausbildungsjahr keine Vergütung in Höhe von zwei Dritteln dessen bekommen, was ein Berufsanfänger erhält. Das sind einige Beispiele für das, was der Europäische Ausschuss für Soziale Rechte an Deutschland kritisiert. Wir fordern die Bundesregierung auf, diese Kritikpunkte anzugehen. Sie hat sich zur Einhaltung der Europäischen Sozialcharta verpflichtet.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Jahre 2007 hat die Bundesregierung   auch damals eine schwarz-rote, eine Große Koalition   die revidierte Europäische Sozialcharta, die etwas weitergeht   sie beinhaltet auch das Recht auf eine Wohnung und den besonderen Schutz älterer Menschen  , unterzeichnet. Aber jetzt, acht Jahre später, hat sie die revidierte Europäische Sozialcharta immer noch nicht ratifiziert. 33 europäische Länder haben sie ratifiziert. Wir fordern die Bundesregierung auf, die revidierte Europäische Sozialcharta endlich zu ratifizieren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Um den Schutz sozialer Rechte wirklich zu gewährleisten, hat der Europarat auch ein Zusatzprotokoll zur Europäischen Sozialcharta über Kollektivbeschwerden unterzeichnet. Das ermöglicht zum Beispiel Gewerkschaften oder auch international anerkannten NGOs, soziale Rechte beim Europäischen Ausschuss für Soziale Rechte direkt einzuklagen. Auch dieses Zusatzprotokoll ist von etlichen Staaten unterzeichnet und ratifiziert worden. Auch hier steht die Ratifizierung in Deutschland aus. Wir fordern, dass dieses Zusatzprotokoll endlich ratifiziert wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich glaube, dass es auch in der gegenwärtigen Situation   Euro-Krise usw.   wichtig ist, an die besondere Bedeutung des europäischen Sozialmodells zu erinnern. Die Europäische Sozialcharta ist ein elementarer Bestandteil dieses Sozialmodells. Wir wissen, es wird gerade in der Krise infrage gestellt, zum Beispiel von der ehemaligen Troika. Es ist wichtig, dass wir diese Sozialcharta wieder auf die Agenda setzen und voranbringen. Ich verweise auf den augenblicklich stattfindenden sogenannten Turin-Prozess. In Turin wurde die Europäische Sozialcharta seinerzeit unterzeichnet. Der Generalsekretär des Europarats fordert die Mitgliedstaaten auf, diesen Prozess zu unterstützen. Auch ich fordere die Bundesregierung auf, daran teilzuhaben. Ich freue mich auf die Debatte in den Ausschüssen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)