Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko

Wir diskutieren heute den Antrag der Grünen „EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wiederbeleben“. In der Tat ist es so, dass die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nach dem hoffnungsvollen Beginn 2004 erlahmt sind und gegenwärtig stagnieren. Diese Erlahmung hat im Wesentlichen zwei Gründe, auf die der Antrag der Grünen nicht oder nur unzureichend eingeht.

Erstens wachsen innerhalb der EU rassistische und rechtspopulistische Stimmungen, die die Türkei als fremden Kulturraum betrachten, der mit Europa nichts zu tun habe. So hat die österreichische FPÖ angekündigt, eine europäische Bürgerinitiative gegen die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu starten. Die Grundlage solcher Stimmungen sind nicht konkrete Demokratiedefizite oder Menschenrechtsverletzungen, die es im Zuge der Beitrittsverhandlungen zu überwinden gilt, sondern Ablehnungen gegenüber den Menschen aus der Türkei an sich. Dagegen gilt es deutlich und entschieden Flagge zu zeigen.

Leider greifen auch konservative Parteien wie CDU und CSU diese Stimmungen auf. Ein Ausdruck davon ist, dass im Koalitionsvertrag der Bundesregierung die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nur noch als „ergebnisoffen“ bezeichnet wurden – ein Zugeständnis an den rechten Flügel der CDU und insbesondere der CSU. Und es mehren sich die Stimmen in der Bundesregierung, die die Beitrittsverhandlungen insgesamt ablehnen und nur noch von einer „privilegierten Partnerschaft“ sprechen. So etwas wird in der Türkei sehr genau wahrgenommen und wirkt sich dort negativ auf die demokratischen Reformprozesse aus. Dies konnte ich bei der Delegationsreise des EU-Ausschusses in die Türkei sehr deutlich feststellen. Mit solchen Signalen wird nicht nur dem Beitrittsprozess zur EU ein Bärendienst erwiesen, sondern auch denjenigen in der Türkei, die an einer demokratischen Weiterentwicklung interessiert sind.

Zweitens gibt es parallel zu dieser Entwicklung in der EU auch besorgniserregende Entwicklungen in der Türkei selbst. Es ist überhaupt nicht hilfreich, die Lage der Menschenrechte und der Demokratie in der Türkei schönzureden und auf die „atemberaubende“ ökonomische Entwicklung zu verweisen, wie das der grüne Antrag leider tut. Ich möchte hier einige Beispiele aufführen, die ich höchst besorgniserregend finde.

Der grüne Antrag begrüßt eine angeblich offene Debatte in der Kurdenfrage. Leider bleibt es bei dieser Debatte. Die Verweigerung elementarer Rechte und die politische Repression gegenüber dem kurdischen Bevölkerungsteil bleiben bestehen. So sitzen zahllose Funktionäre und gewählte Vertreter der legalen kurdischen Partei für Frieden und Gerechtigkeit, BDP, darunter auch viele Bürgermeister, seit nunmehr zwei Jahren in Untersuchungshaft. Ihnen wird eine Verteidigung in ihrer Muttersprache verweigert. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, spricht hier von einer „Verletzung fundamentaler Rechte“. Darüber hinaus gibt es leider immer wieder Übergriffe der türkischen Sicherheitskräfte in den kurdischen Gebieten, wie es auch im EU-Fortschrittsbericht zur Türkei konstatiert wird. Das alles sollte sehr deutlich benannt und kritisiert werden.

Im Falle der Meinungsfreiheit gibt es leider eine zunehmende Zahl an Inhaftierungen von Journalistinnen und Journalisten sowie Schriftstellerinnen und Schriftstellern. Die Fälle Dogan Akhanli und Pinar Selek sind ja in den deutschen Medien breit kommuniziert worden. In einem anderen Fall, Nevim Berktas, hat der EuGHM die Türkei vor kurzem verurteilt. Aber es gibt sehr viel mehr Journalistinnen und Journalisten sowie Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die inhaftiert sind. Die türkische Journalistengewerkschaft sprach zuletzt von 55. Der Präsident der Europäischen Journalisten-Föderation sprach im Januar vor der Parlamentarischen Versammlung von 120 weiteren, deren Verhaftung er befürchtet. All das ist sehr besorgniserregend und muss benannt werden.

Nach wie vor wird die größte religiöse Minderheit, die alevitische Gemeinde, unterdrückt. Auch hier konstatiert der EU-Fortschrittsbericht zur Türkei keine Fortschritte. Die Gewerkschaftsrechte in der Türkei entsprechen ebenfalls nicht demokratischen Standards. Laut EU-Fortschrittsbericht erfüllen sie nicht die Standards der ILO und der EU.

Zentraler Streitpunkt und gegenwärtiger Hauptgrund für die Blockade der Beitrittsverhandlungen ist aber die Zypern-Frage. Hier weigert sich die Türkei, das Ankara- Protokoll zu ratifizieren. Dieses Protokoll, das den Warenverkehr mit der Republik Zypern regelt, war ursprünglich eine Voraussetzung für die Beitrittsverhandlungen. Deswegen blockiert Zypern auch zu Recht die Eröffnung weiterer Kapitel. Dies hat auch der Deutsche Bundestag immer wieder deutlichgemacht, so etwa am 9. Mai 2007 im gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen, in dem von der Türkei erwartet wird, dass das Ankara-Protokoll „vollständig implementiert wird“.

Nun fordern die Grünen in ihrem Antrag die Bundesregierung auf, gleichzeitig die Forderungen aus dem alten Antrag umzusetzen und sich gegenüber den anderen Mitgliedstaaten und der Türkei dafür einzusetzen „die Blockaden aufgrund mangelnder Umsetzung des Ankara- Protokolls zu lösen“. Das widerspricht sich nicht nur, sondern stellt eine Kehrtwende um 180 Grad dar. Konkret bedeutet das, jetzt Zypern unter Druck zu setzen, obwohl der Spielball hier eindeutig bei der Türkei liegt. Ich finde das völlig kontraproduktiv.

Zusammenfassend möchte ich festhalten: Die Linke ist für die Fortsetzung und Wiederbelebung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Diese müssen entlang klarer demokratischer und menschenrechtlicher Kriterien geführt werden, wie sie auch in den Kopenhagener Kriterien festgelegt sind. Sowohl in der EU als auch in der Türkei gibt es Kräfte, die die Beitrittsverhandlungen beenden wollen. Es ist notwendig, diejenigen in der EU und in der Türkei zu stärken, die sich für die Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen einsetzen, auch um demokratische und rechtsstaatliche Reformen zu befördern. Die wünschenswerte Wiederbelebung des Beitrittsprozesses darf aber nicht auf dem Rücken der Republik Zypern erfolgen.

Rede zu Protokoll, Berlin, der 17. März 2011

Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

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