Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko

Rede im Bundestag am 23. April 2020

Die Fehler der EU und das unsolidarische Verhalten der Bundesregierung zu Beginn der Corona-Pandemie haben Konsequenzen: Jeder zweite Italiener möchte aus der EU austreten. Deshalb sind jetzt Solidarität und Finanzierungsmodelle für den Wiederaufbau nach der Corona-Krise gefragt. Entscheidend ist, dass angesichts der außergewöhnlichen Situation außergewöhnliche Maßnahmen ergriffen werden. Deshalb ist auch eine Direktfinanzierung durch die EZB notwendig.

Andrej Hunko (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Stunde der größten Not erkennt man seine wahren Freunde. Als Italien Ende Februar/Anfang März in größter Not war - Sie kennen alle die Bilder -, hat die italienische Regierung bei der EU den sogenannten Zivilschutzmechanismus aktiviert. Das kann jeder Staat machen: In einem solchen Fall übernimmt die EU-Kommission drei Viertel der Transportkosten, und die anderen Staaten werden aufgefordert, zu helfen. - Kein einziger Staat hat damals geholfen, auch Deutschland nicht. Wir finden das beschämend. Wir finden das skandalös. Das muss sich ändern.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich erzähle das, damit man auch versteht, warum die Stimmung in Italien so ist, wie sie ist. Mein Kollege Fabio De Masi hat es eben erwähnt: 63-mal hat die EU-Kommission Italien und andere Länder aufgefordert, im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes im Gesundheitssystem zu kürzen bzw. Teile des Gesundheitssystems zu privatisieren. Das war ein fataler Irrweg

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Christian Petry (SPD))

und deutet auch auf Konstruktionsfehler in diesem Wachstumspakt hin.

Nach jüngsten Umfragen nennen 52 Prozent der italienischen Bevölkerung auf die Frage: „Wer ist unser befreundeter Staat?“, an erster Stelle China. Das hat damit zu tun, dass China, übrigens auch Russland und Kuba in dieser akuten Situation tatsächlich geholfen haben. Gefragt, welcher Staat ihnen am feindlichsten gesonnen ist - „paesi nemici“ -, geben 45 Prozent an erster Stelle Deutschland an. Ich finde das nicht gut. Ich erwähne das nur, weil das natürlich die Rahmenbedingungen vor dem heutigen EU-Gipfel sind.

(Zuruf des Abg. Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU))

Wir finden es notwendig, dass in dieser außergewöhnlichen Situation, in der wir sind, und in der außergewöhnlichen Krise, in der natürlich wir, aber insbesondere Italien, Spanien und auch andere Länder sind, außergewöhnliche Finanzierungsmaßnahmen zum Wiederaufbau auf den Weg gebracht werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung von Herrn Dr. Weyel?

Andrej Hunko (DIE LINKE):

Bitte.

(Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nicht von dem Weyel! Der hat schon geredet!)

Dr. Harald Weyel (AfD):

Danke, Herr Kollege Hunko. - Ihr Antrag ist in Teilbereichen der seriösere der beiden.

(Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Drei Anträge, falls Sie einen verpasst haben! Meine Güte!)

Wenn Sie PESCO kritisieren, so kann ich Ihnen sagen, dass wir das auch tun. Graf Lambsdorff hat vergessen, zu erwähnen, dass er dazu noch die Schaffung eines europäischen Sicherheitsrats und die Ausrufung des Notstands fordert. Und von den Forderungen der Grünen ganz zu schweigen.

Gerade der Bereich, wo man wirklich Butter bei die Fische tun kann, ist also: Was ist der Vermögensstand? Was ist das Steueraufkommen? Wenn man in Italien 10 Millionen Euro erbt, zählt man 360 000 Euro Steuern. Wenn man diesen Betrag in Deutschland erbt, zahlt man 2,25 Millionen Euro Steuern. Bei den Italienern ist es so, dass eben auch entfernte Verwandte oder Nichtverwandte höchstens auf den doppelten Betrag an Steuern kommen, also 720 000 Euro. Staat und Private in Italien haben ein Vermögen von knapp 1 Billion Euro, genau 9 900 Milliarden Euro Staatsvermögen. Das ist das 5,5-Fache des Bruttoinlandsprodukts. In Deutschland liegt dieser Vermögenssatz bei dem 3,8-Fachen, also weit hinter Italien und sogar hinter Spanien und anderen.

(Kersten Steinke (DIE LINKE): Was ist das für eine Frage?)

Wie können wir denn sicherstellen, dass nicht nur der deutsche Superreiche, sondern auch der deutsche Normalverbraucher entlastet wird, und dass Staaten wie Italien, Griechenland und andere endlich auf dem Level besteuern, wie hier der Mittelstand durch den Mittelstandsbauch besteuert wird? Danke schön.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Herr Hunko.

Andrej Hunko (DIE LINKE):

Erstens. Es gibt drei Anträge: einen der Grünen - deswegen ist dieser Tagesordnungspunkt aufgesetzt worden -, einen der FDP und einen der Linken. Auch Sie können dazu vielleicht einen Antrag erarbeiten.

(Sonja Amalie Steffen (SPD): Besser nicht!)

Zweitens. Wir haben in unserem Antrag explizit dargestellt - darauf wäre ich jetzt gekommen -, dass wir eine EU-weit koordinierte Besteuerung der Superreichen und der Milliardäre brauchen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das wäre in den einzelnen Ländern unterschiedlich zu regeln, in Deutschland etwa durch eine Vermögensabgabe. Aber natürlich braucht es wie auch hier in Deutschland ebenso die Solidarität der italienischen oder spanischen Superreichen. Das ist Teil des Programms.

(Beifall bei der LINKEN)

101 Ökonomen in Italien - überwiegend italienische Ökonomen, aber auch andere - haben vor einer Woche einen Appell gestartet und fordern unter anderem, dass die EZB, die Europäische Zentralbank, die Möglichkeit haben soll, in einer außergewöhnlichen Situation durch Direktinvestitionen zu intervenieren. Dazu müsste der Artikel 123 AEUV angepasst werden. Wir denken, wir haben eine solche außergewöhnliche Situation. Natürlich brauchen wir gemeinsame Finanzierungsmodelle, etwa durch Anleihen über die EIB, die Europäische Investitionsbank, die dann von der EZB aufgekauft werden. Wir haben dazu konkrete Vorschläge in unserem Antrag.

Ich freue mich auf die Debatte in den Ausschüssen und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Christian Petry (SPD))

Behandelte Anträge:

Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko