Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko

Terrorwarnungen dienen als Instrument, die Grenzen der Demokratie enger zu ziehen. Gemeinsame Erklärung von Abgeordneten und Mitgliedern der Partei und Fraktion Die Linke

Im Windschatten der aktuellen Terrorwarnungen werden die umfangsreichsten Veränderungen der deutschen Sicherheitsbehörden seit Einführung der Notstandsgesetze 1968 vorbereitet. Schon jetzt ist klar, daß die Demokratie zum ersten Opfer auch dieser Facette des sogenannten Krieges gegen den Terror gehört. Die muslimische Bevölkerung bekommt das zuallererst zu spüren.

Die Forderungen nach Reformen der Sicherheitsapparate häufen sich. Auch wenn sie teilweise unkoordiniert erfolgen, verdichten sie sich zu einem Angriff auf demokratische Standards, wie sie in der BRD seit dem Zweiten Weltkrieg als Lehre aus dem deutschen Faschismus etabliert worden sind.

Wieder einmal wird nach einem starken Staat, besser gesagt: einem starken Überwachungsstaat, gerufen. Die Innenminister aus Bund und Ländern verlangen nach der Vorratsdatenspeicherung und unterstellen den Gegnern dieses Überwachungsgesetzes heimliche Komplizenschaft mit dem Terrorismus. Es fehlt nicht der Ruf nach dem Bundeswehreinsatz im Inland, der mit den Forderungen nach Stellenerhöhungen bei der Polizei konkurriert. Auch präventive Haft für »einschlägig bekannte Islamisten« wurde bereits gefordert. Vor allem aber steckt in den Schubladen der vermeintlichen Sicherheitspolitiker der Plan nach der Schaffung eines neuen, zentralstaatlichen Polizeiamtes, das aus einer Fusion der jetzigen Bundespolizei mit dem Bundeskriminalamt und dem Zoll hervorgehen soll. Eine solche Behörde wäre mehr als die Summe ihrer Teile: Sie wäre eine weitere intransparente, zentrale Mammutbehörde, die sich demokratischer Kontrolle weitgehend entzieht.

Das BKA hat vor wenigen Jahren bereits die Kompetenzen für quasi-geheimdienstliche Ermittlungen erhalten– Stichworte: heimliche Videoüberwachung, Online-Durchsuchungen. Würde es durch den Apparat der Bundespolizei und des Zolls verstärkt, könnte es diese Kompetenzen auch auf breiter Front umsetzen. Dies wäre zugleich eine Absage an das föderalistische Prinzip, das den Bundesländern die Hauptkompetenz bei der Kriminalitätsbekämpfung zuweist.

Die angestrebte Übernahme des MAD durch die beiden anderen Geheimdienste BND und BfV dient dem gleichen Zweck: Der Stärkung zentralstaatlicher Überwachungsinstrumente, die sich öffentlicher Kontrolle entziehen.

Es ist höchst bezeichnend, daß der einzige Anschlag, den es seit Beginn der aktuellen Warnserie tatsächlich gegeben hat, politisch nahezu unterging: der Anschlag auf die Moschee am Columbiadamm in Berlin. Aber Muslime als Opfer eines Anschlages – dafür hatten bürgerliche Politiker und Medien keine Zeit. Dabei verdeutlicht dies das Prinzip deutscher Antiterrorpolitik, die eben auf Mißtrauenserklärungen und Generalverdacht setzt. Daß der Zentralrat der Muslime eine massive Zunahme von Haß-Mails wie auch verbalen und körperlichen Übergriffen auf Muslime in Deutschland registriert, ist kein Zufall, sondern Folge der herrschenden Politik.

Anfang Dezember will die vom Bundesinnenministerium eingesetzte sogenannte Werthebach-Kommission ihre Vorschläge für eine »Reform« der Sicherheitsapparate öffentlich präsentieren, deren Kern jetzt bereits öffentlich wurde. Die Kommissionsvorschläge können nun im Windschatten aktueller Terrorwarnungen diskutiert werden. Der Kommissionschef hatte zu Beginn angekündigt: »Wir werden an die Grenzen dessen gehen, was unseres Erachtens notwendig ist – und politisch vertretbar.« Die Grenzen dessen, was als »politisch vertretbar« verkauft werden kann, drohen sich mit solch spektakulären Bildern wie der Absperrung des Reichstagsgebäudes und der Positionierung schwerbewaffneter Polizisten an Bahnhöfen beträchtlich zu verschieben.

Öffentliche Warnungen vor Terroranschlägen sind per se immer auch ein politisches Instrument. In den westlichen Staaten werden sie seit Jahren als Mittel genutzt, um Gesetzesverschärfungen und Demokratieabbau voranzutreiben. Es werden antidemokratische Geister gerufen, die unsere Gesellschaft auf lange Sicht und im wahrsten Sinne des Wortes zu terrorisieren drohen. Deswegen rufen wir dazu auf, sich nicht irre machen zu lassen, und weisen darauf hin: So legitim Kriminalitätsbekämpfung ist – sie muß auf demokratischen Prinzipien basieren und der Verteidigung demokratischer Werte gelten, und nicht ihrer schrittweisen Abschaffung! Außerdem machen wir auf einen von der »offiziellen« Politik gerne vernachlässigten Aspekt aufmerksam: Die Terror-Weltmeister sind die westlichen Staaten selbst. Die Vorherrschaft der kapitalistischen Ausbeutungslogik sorgt weltweit für Hunger und Verelendung. Vor allem die NATO-Staaten exportieren seit Jahren Tod und Zerstörung nach Afghanistan. Sie stärken damit nicht die Demokratie, sondern provozieren Gegenterror und schwächen die demokratischen Kräfte in den derart heimgesuchten Ländern.

Aber auch im eigenen Lande forcieren die Herrschenden ihre Politik der Zerstörung. Sie bekämpfen soziale Bewegungen wie die gegen »Stuttgart 21« oder die Antiatomaktionen im Wendland. Sie fürchten nichts mehr als soziale Unruhen, die angesichts des sozia­len Terrors, geprägt von menschenunwürdigen Niedriglöhnen, Hartz IV und Zwei-Klassen-Gesundheitsheitspolitik, dringend nötig wären. Die heraufbeschworene Gefahr von Terroranschlägen erfüllt die Funktion, von der ganz realen Gefahr abzulenken, die vom schwarz-gelben Kürzungspaket ausgeht. Dieses Ablenkungsmanöver darf nicht gelingen. Deswegen rufen wir jetzt erst recht dazu auf, am Freitag, 26. November, ab 10 Uhr parallel zur Verabschiedung des unsozialen Sparhaushaltes entlang der Bannmeile gegen den Sozialabbau zu protestieren.

Ali Al-Dailami, Jürgen Aust, Karin Binder, Antonie Brinkmann, Christine Buchholz, Sevim Dagdelen, Erkan Dinar, Dr. M. Fiedler, Thies Gleiss, Annette Groth, Stefanie Haenisch, Heike Hänsel, Claudia Haydt, Dagmar Henn, André Hettrich, Uwe Hiksch, Inge Höger, Andrej Hunko, Bernd Irmler, Ulla Jelpke, Beate Jenkner, Dietmar Kuschke, Kornelia Möller, Michael Mork, Niema Movassat, Michael Niedworok, Einde O’Callaghan, Arno Pfaffenberger, Tobias Pflüger, Yvonne Ploetz, Victor Rother, Herbert Rubisch, Uwe Schildbach, Angelika Schömig, Dirk Scholl, Heinrich Schwimmbeck, Chris Sedlmair, Mario Simeunovic, Reinhard Simon, Richard Spieß, Alexander Süssmair, Dr. Martina Tiedens, Jochen Traut, Marianne Wolf, Edmund Wolf

Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

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