Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko

Gestern habe ich in einer Pressemitteilung die Sanktionsforderungen gegen Belarus kritisiert und stattdessen eine diplomatische Initiative unter Leitung der OSZE oder des Europarats gefordert (es war die zweite, die erste findet sich hier). Seitdem wird mir von verschiedenen Seiten vorgeworfen, ich würde den Autokraten Lukaschenko verharmlosen. Diese Vorwürfe sind absurd.

Diplomatie hat nichts mit Kuscheln zu tun. Es erschreckt mich, wie sehr das mittlerweile gleichgesetzt wird. Sie muss darauf abzielen, Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit zu stärken. Belarus ist Mitglied in OSZE und möchte Europarat beitreten. Das ist ein Ansatz.

Meine Sympathie und Solidarität gehört natürlich klar den Menschen in Belarus, die um eine demokratische Zukunft des Landes kämpfen. Dementsprechend habe ich die massive Gewalt von Polizei und Militär gegen friedliche Demonstranten verurteilt und die Freilassung der Inhaftierten gefordert. Unter diesen befinden sich auch Mitglieder der Partei „Gerechte Welt“, die Partnerpartei der LINKEN ist. Ich kann mich in dieser Frage nur Heinz Bierbaum, dem Vorsitzenden der Internationalen Kommission der LINKEN anschließen, der „die umgehende Freilassung aller politischen Gefangenen, ein Ende der Gewalt gegen die protestierende Bevölkerung und die Einhaltung der Menschenrechte auf Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit“ gefordert hat.

Bemerkenswert finde ich, dass zwar viele Sanktionen fordern, aber ohne konkrete politische Forderungen, etwa Überprüfung der Ergebnisse, Rücktritt Lukaschenkos oder Neuwahlen. Auch die Anerkennungsfrage ist ungeklärt, ich vermute es wird auf eine klammheimliche Anerkennung hinauslaufen. Die EU hat sich in den letzten Jahren mit Lukaschenko arrangiert, vermutlich vor allem, um Russland zu schwächen. Die Bundesregierung hat bis 2012 belarussische Sicherheitskräfte ausgebildet, was ich immer kritisiert habe.

Aber welche Szenarien gibt es jetzt?

1. Ideal wäre eine Entwicklung wie bei der „Samtenen Revolution“ 2018 in Armenien, d.h. es wird geschafft, mit friedlichen Demonstrationen und ohne geopolitische Überlagerung die Regierung zum Rücktritt zu bewegen und Neuwahlen durchzuführen. Dieses Szenario scheint mir angesichts des Ausmaßes der Repression aber leider als sehr unwahrscheinlich.

2. Die Proteste werden unterdrückt und ebben ab, man empört sich ein paar Wochen und es gibt symbolische Sanktionen der EU. Ansonsten Business as usual. Man interessiert sich nicht mehr wirklich für das Land – bis zum nächsten Mal.

3. Die Proteste verfestigen sich, wie auf dem Maidan in der Ukraine 2013, es kommt zu einem Patt. Unter internationaler Vermittlung (Diplomatie) werden Bedingungen z. B. für Neuwahlen ausgehandelt und (anders als in Ukraine 2014) auch umgesetzt.

4. Die  Proteste verfestigen sich und es kommt am Ende vielleicht sogar zu einem Bürgerkrieg, der Westen und Russland intervenieren auch mit militärischer Unterstützung, diplomatische Beziehungen werden abgebrochen (Syrien-Szenario). (Dieses Szenario halte ich für eher unwahrscheinlich.)

Von allen realistischen Szenarien wäre dasjenige, das mit internationaler Vermittlung (etwa OSZE, Europarat oder auch UN) eine demokratische Lösung beinhaltet, das Beste. Dafür habe ich mich ausgesprochen und bin auch weiterhin davon überzeugt.

Sanktionen scheinen für Viele die Allzweckantwort zu sein, wenn in einem Land etwas nicht so läuft, wie man es für richtig hält. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass sie in den seltensten Fällen das erklärte Ziel tatsächlich erreichen. Sie führen (im Falle von Wirtschaftssanktionen) aber zu viel Leid in der Bevölkerung. „Gezielte“ Sanktionen hingegen verbauen oft Wege zu einer diplomatischen Lösung.

Bitte beachten Sie auch diese weiteren Erklärungen zur Lage in Belarus:

Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

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