Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko

Moldawien weiter ohne Präsident. Auch nach erneuten Parlamentswahlen kann politisches Patt nicht überwunden werden. Ein Gespräch mit Andrej Hunko. Er war bis Montag als Wahlbeobachter des Europarates in der Republik Moldawien.

In Moldawien wurde am Sonntag zum dritten Mal innerhalb von anderthalb Jahren ein neues Parlament gewählt. Nach Auszählung von mehr als 90 Prozent der Stimmen liegt die Kommunistische Partei der Republik Moldau (PCRM) vorn, verfehlte aber die absolute Mehrheit. Was bedeutet das Ergebnis für die Regierungsbildung?

Die Kommunistische Partei wird etwa 40 bis 41 Prozent der Stimmen erreichen und bleibt damit stärkste Kraft. Zweitstärkste Partei wurde die Liberaldemokratische Partei (PLDM) von Regierungschef Vlad Filat, die auf etwa 28 Prozent kommt, gefolgt von der sozialdemokratischen PDM, die 13 Prozent erreichte. Damit haben innerhalb der sogenannten proeuropäischen Parteienallianz ganz klar die moderateren Kräfte an Einfluß gewonnen. Die aggressiv antirussisch auftretende Liberale Partei (PL) fiel von 15 Prozent im November auf acht Prozent. Noch härter traf es das rechte Bündnis »Unser Moldawien«, das sogar an der Vier-Prozent-Hürde scheiterte.

Am politischen Patt ändert das Ergebnis also nichts?

Nein, weil das Grundproblem nicht gelöst werden konnte. Für die Wahl eines neuen Präsidenten sind 60 Prozent der 101 Parlamentssitze nötig, die werden auch jetzt in keiner Konstellation erreicht. Für eine Regierungskoalition genügtt allerdings eine einfache Mehrheit von 51 Stimmen. Es gibt nun zwei Verfahrensvorschläge. Die Pro-Europa-Allianz favorisiert eine direkte Wahl des Präsidenten. Diese Variante wurde aber bei einem Referendum im September klar von der Bevölkerung abgelehnt. Der zweite Vorschlag sieht eine Veränderung des parlamentarischen Wahlverfahrens vor und stammt von der PCRM. Demnach soll die für die Wahl nötige Stimmenzahl von bisher 61 im ersten Wahlgang auf eine einfache Mehrheit von 51 Stimmen im dritten Wahlgang gesenkt werden. Eine Koalition zwischen der PDM (15) und den Kommunisten (44) könnte somit rechnerisch die für eine Präsidentenwahl nötigen Sitze erreichen.

In der deutschen Medienlandschaft erschien der Wahlkampf allein auf die Frage »Moskau oder Brüssel« zugespitzt. Moldawien ist das ärmste Land Europas, spielten Ökonomie und soziale Themen keine Rolle?

Das Thema EU war wichtig, aber alles andere als beherrschend. Zumal alle Parteien sich positiv auf die europäische Integration beziehen – auch die Kommunisten. Daß die PCRM »moskautreu« ist, wie in deutschen Medien behauptet wird, ist eine völlig vereinfachte Darstellung. Sie gehört sogar der Europäischen Linken an. Auch warben lediglich das rechte »Unser Moldawien« und die Liberale Partei explizit für einen EU- und NATO-Beitritt. Die Differenzen zwischen Kommunisten und anderen Parteien beziehen sich etwa auf die Frage, zu welchen Bedingungen es eine Annäherung an Brüssel geben soll. Es wäre interessant zu erfahren, wie die Kommunisten eine EU-Mitgliedschaft bewerten, da der Vertrag von Lissabon eine klare Ausrichtung auf ein europäisches Militärbündnis hat. Und dieses verstößt gegen die verfassungsrechtlich festgeschriebene militärische Neutralität Moldawiens. Auch weigert sich die PCRM beispielsweise, ihre Politik dem Internationalen Währungsfonds unterzuordnen oder Investitionen großer ausländischer Konzerne um jeden Preis ins Land zu holen.

Welche Themen standen denn im Mittelpunkt des Wahlkampfes?

Vor allem die Armut. Sogar der Haupt­slogan der liberaldemokratischen PLDM hieß nicht etwa »Wir wollen in die EU«, sondern »Moldawien ohne Armut«. Ansonsten war der Wahlkampf ziemlich wenig aussagekräftig und personalisiert, nicht anders als in Deutschland.

Wie kann die politisch verfahrene Situation gelöst werden?

Am sinnvollsten wäre es, an einer Reform des parlamentarischen Wahlverfahrens zu arbeiten, so wie es von den Kommunisten vorgeschlagen wurde. Die Weigerung zur Zusammenarbeit zwischen PCRM und dem Pro-Europa-Bündnis ist keinesfalls so zementiert wie es erscheint. So kommt der Vorsitzende der Sozialdemokratischen PDM, Marian Lupu, aus einer Abspaltung der Kommunistischen Partei. Er hatte sich im Vorfeld der Wahlen alle Koalitionen zumindest offengehalten.

 

Interview: Johannes Schulten
Quelle: junge Welt, 30.11.2010

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