Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko

Trotz der fatalen Ereignisse in Japan mahlen die Mühlen der EU weiter. Und als bekennender Zyniker fällt es mir recht leicht einige Leute vorzustellen, die sich jetzt klammheimlich freuen. Das überhaupt noch über eine Abschaltung (oder nicht), nach dem was in Japan gerade passiert ,„debattiert“ wird finde ich arg daneben. Seit den erfolglosen Interventionen gegen eine WAA Hanau bin ich sowieso der Meinung, dass die angeblich zivile Nutzung der Atomkraft ein Trojanisches Pferd ist. Aber darüber wurde schon genug und von vielen Fachleuten publiziert. Mein Schwerpunkt hier bei RE ist das Medium auf dem Sie diese Zeilen (noch) lesen können.

Es ist sehr schwierig an unabhängige Informationen über dieses Forschungsprojekt zu bekommen. Weder ist die Europäische Kommission zu ausführlichen Auskünften zu INDECT bereit, noch ist eine zufriedenstellende parlamentarische Kontrolle über die Parlamente der 27 Mitgliedsstaaten möglich. Papiere über diesbezügliche parlamentarische Anfragen an die deutsche Bundesregierung zeigen eine weitgehende Unkenntnis über das Forschungsvorhaben. Zudem konnte die Bundesregierung nicht über die Widersprüche zwischen den von ihnen erklärten INDECT-Projektzielen und den Auskünften der EU-Kommission aufklären. Und die alten Holz Medien meiden dieses Thema. Es wird nur oberflächlich angerissen, was zwar auch der dürftigen Informationslage geschuldet sein könnte, mir aber dann nur ein Kopfschütteln abnötigt, wenn meine Beiträge unkommentiert in der Redaktionsschublade verschwinden. Vielleicht rechnen die Verlage wieder mit mehr Lesern der Holzmedien, wenn das Netz komplett diskreditiert ist. Und erst im letzten Jahr hatte auch der sogenannte INDECT-Ethikrat beschlossen, ausgewählte Dokumente zukünftig zurückzuhalten, da das Vorhaben in der Vergangenheit oft falsch verstanden worden wäre. Informationen, die eine nicht näher bezeichnete „nationale Sicherheit“ gefährden könnten, sollen verheimlicht werden.

Damit mir niemand Wahlwerbung unterstellen kann, nenne ich gerne auch meine Quellen. Denn daraus wird ersichtlich, dass nicht alle Parteien das Thema INDECT wirklich auf der Agenda haben. Die Netzaffine Piratenpartei hat eine ganze Menge Informationen gesammelt und ins Netz eingestellt. Die Aktionsplattform Stoppt-INDECT steht auf Intention der Piraten im Netz. Von den etablierten Parteien bekommt man höchstens von der FDP und den Linken qualifizierte Informationen. Der EU Politiker Alvaro informiert über INDECT aus dem EU-Parlament.

Aber was wissen die hiesigen Gremien?

Diese Fragen beantwortete mir Andrej Hunko sehr ausfühlich. Deswegen hier die kurze Fassung. Das ganze Interview können Sie auf meinem Blog nachlesen.

Hier noch einmal in Kürze, was ist INDECT?

INDECT steht für “Intelligent information system supporting observation, searching and DEteCTion for security of citizens in urban environment” (”Intelligentes Informationssystem, das Überwachung, Suche und Entdeckung für die Sicherheit von Bürgern in einer städtischen Umgebung unterstützt”). Es ist ein Forschungsprojekt der Europäischen Union, das 2009 startete und 2013 abgeschlossen sein soll. So sollen Handyortung und Videoüberwachung einschließlich der biometrischen Erfassung von Gesichtern mit der Ausspähung von Blogs, Facebookeinträgen und Email-Kommunikation kombiniert werden. Komplettiert werden soll das System durch Polizeidrohnen, die Verdächtige aus der Luft erfassen. Dadurch wirkt es wie eine riesige Suchmaschine des Polizeistaats, die auf den Einzelnen oder gegen Gruppen gerichtet werden kann.

An INDECT arbeiten mehrere Universitäten sowie privatwirtschaftliche Unternehmen aus verschiedenen EU-Ländern mit. Beteiligt ist auch die Bergische Universität Wuppertal. Sie weist INDECT auf ihrer Homepage als drittmittelgefördertes Forschungsprojekt aus.

Die Linke, Herr Andrej Hunko vorgestellt.

Ist in Aachen aufgewachsen, und hat in Freiburg und Berlin studiert sowie u. a. als LKW-Fahrer, Drucker, Krankenpfleger und Publizist gearbeitet. Seit der Bundestagswahl 2009 auf Platz 6 der Landesliste NRW und als Direkt­kandidat für Aachen im Parlament. Seit Ende 2009 ist Andrej Hunko Bundestagsabgeordneter in der Linksfraktion und Mitglied des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union. Darüber hinaus ist er Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und arbeitet dort im Ausschuss für Gesundheit, Soziales und Familie sowie im Politischen Ausschuss.

 

Das Interview

MK: Herr Hunko, wie sind Sie auf INDECT aufmerksam geworden? Ist der Bundestag offiziell informiert worden?

 AH: Ich bin auf INDECT über meine Arbeit im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (EU) gekommen. In Belangen der EU haben die Abgeordneten der Mitgliedsstaaten ein Auskunftsrecht über ihre nationalen Regierungen. Deshalb habe ich zunächst eine kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, in der sich diese jedoch sehr zugeknöpft gab. Daraufhin schrieb ich einen Offenen Brief an die Projektverantwortlichen von INDECT mit offenen bzw. zuvor seitens Kommission und INDECT widersprüchlich beantworteten Fragen. Nach zwei Monaten warte ich immer noch vergeblich auf eine Antwort, nicht einmal die erbetene Eingangsbestätigung wurde verschickt.

MK: Ist das Projekt INDECT, das einem riesigen Datenwarenhaus vergleichbar ist, grundsätzlich noch zu stoppen?

AH: Eine gute Frage, die sich durchaus auf die meisten Vorhaben der EU übertragen lässt in denen diese mehr „Sicherheit“ verspricht. Weder wird etwa grundsätzlich über die Einrichtung der Agentur Frontex zur Migrationsabwehr diskutiert, noch darüber ob die Polizeiagentur Europol wirklich an allen Datensammlungen unter den Mitgliedsstaaten beteiligt sein soll. Ich fordere jetzt einen Stopp des Vorhabens, bis über die grundsätzliche Ausrichtung eine öffentliche Diskussion angestoßen ist, die diesen Namen verdient. Allerdings hat sich die INDECT seit geraumer Zeit die polnische Polizei ins Boot geholt, die geradezu eifrig die neuen Anwendungen ausprobieren möchte und gerade eine Plattform zur „Internet-Bedrohungsanalyse“ von INDECT installiert bekam.

MK: Welche Kosten wurden veranschlagt und was wurde bis dato ausgegeben? Wissen Sie (das Parlament) davon?

AH: Hierzu kann ich keine Angaben machen, die über die offiziellen Webseiten hinausgehen.

MK: INDECT vereinigt die schon vorhanden Überwachungswerkzeuge und bietet den befugten Polizisten oder Behörden Zugriff auf alle vorhandenen Daten. Weiterhin wird INDECT auch als sogenanntes Früherkennungssystem dienen. Menschen die sich auffällig verhalten, können damit lokalisiert und laut Polizeijargon „sichergestellt“ werden. Getestet werden soll das bei Großveranstaltungen wie Fußballspielen oder Demonstrationen. Aber trotz einiger 1. Mai-Versuche ist keine Revolution oder ähnliches ausgebrochen. Womit begründet die EU diesen Aufwand?

AH: Die EU bereitet sich zweifellos auf verschärfte soziale Auseinandersetzungen vor, die technischen Werkzeuge sind sicher ein Indiz dafür, wohin die Reise geht. Man möchte abweichendes Verhalten geradezu vorhersehen. So wirbt auch die Sicherheitsindustrie hierfür mit einer „Evolution in der Verbrechensbekämpfung“. Die Plattform (soll) alle bekannten technischen Sensoren vereinigen und durch deren automatisierte Auswertung der Polizei einen Vorsprung verschaffen.

MK: Mit Cyberwar, Stuxnet und Kinderpornografie lässt sich ein gewisses Drohpotenzial aufbauen. Diese Fnords lassen sich aber weder technisch noch politisch untermauern. Wie ich in einem anderen Blogbeitrag schon schrieb (Cyberwar hier bei RE) sind diese Begriffe erst durch unsere Politiker geschaffen worden, um die Bürger der EU zu verunsichern. Zahlreiche Unternehmen mit einem hohen Sicherheitsbedarf, wie Banken und Versicherungen, nutzen schon gut zehn Jahre nur noch verschlüsselte Satellitentechnik und ähnliches. Der Sicherheit vor Industrie- und Wirtschaftsspionage wegen wird ja schon eine Menge Vorsorge geleistet. Was setzt Ihre Partei dem entgegen?

AH: Wie im analogen Leben wird auch in der Debatte um die Versicherheitlichung des Cyberspace einem „umfassenden Ansatz“, also einer zivil-militärischen Offensive, das Wort geredet. Ich glaube, dass wir als Linke nicht nur den Datenschutz und die Privatsphäre verteidigen müssen. Wir müssen deutlich machen, wie diese Gesellschaft auch über Angst beherrscht wird.

MK: Wenn wir INDECT nicht verhindern können, wie können wir uns vor unberechtigter Verdächtigung schützen? Gibt es überhaupt Möglichkeiten? Und wer überwacht eigentlich die Überwacher?

AH: Technisch betrachtet ist die Widerstandsmöglichkeit begrenzt. Auch wenn ich möglichst wenig Spuren über meinen Klarnamen im Internet hinterlasse, elektronischen Bargeldverkehr auf das nötigste beschränke, möglichst nicht auffalle und somit nicht in polizeilichen Datenbanken abgelegt werde – spätestens der automatisierten Videoüberwachung (auch mit fliegenden Kameras) im öffentlichen Raum kann ich nicht entfliehen, wenn ich mich nicht vollends aus dem öffentlichen Leben zurückziehen möchte.

M: Herr Hunko, Ihre Partei Die Linke ist ja eine der ersten gewesen, die das Netz intensiv nutzt. Beispielsweise mittels Liquid Democracy / Adhocracy oder in innerparteilichen Arbeitsgruppen zur Netzpolitik und Digitalen Agenda. Wenn dann aber Online am Parteiprogramm oder ähnlichem gearbeitet wird, oder gar die Bürgerbeteiligung Online kommt, birgt INDECT eine weiteres Risiko. Es bauen sich riesige Datenbestände auf. Mittels der INDECT-Werkzeuge wäre da eine Menge Potenzial, die Opposition oder andere unbequeme Gruppen nicht nur auszuspähen. Vom Daten-GAU, also dem Verlust der Daten durch Spionage oder ähnlichem gar nicht zu denken. Aber auch alle anderen Gruppen die das Kommunikationsmittel Internet nutzen, werden von INDECT betroffen. Ich denke da nur an kritischen Journalismus. Das ist doch ein Eingriff in grundlegende Bürgerrechte, oder wie sehen Sie das?

AH: Ich gehe d’accord mit Tony Bunyan von der britischen Bürgerrechtsorganisation Statewatch, der meines Wissens den Begriff der „Datenbankgesellschaft“ prägte. Ich erinnere daran, dass „abweichendes Verhalten“ immer politisch definiert ist. Während beispielsweise das Herumstehen auf öffentlichen Plätzen in manchen Ländern das Merkmal einer offenen, lebhaften Gesellschaft ist, gilt es hierzulande als verdächtig. Die Umsetzung dieser Kontrolle wird dann, etwa im Falle von INDECT, Polizeien und Wissenschaftlern überlassen.

M: Herr Hunko, ein Fazit.

AH: Ich sorge mich über den zunehmenden Einfluss der Industrie auf einen Sicherheitsdiskurs, wie er etwa über Veranstaltungen wie den „Europäischen Polizeikongress“ oder ähnlicher Verkaufsmessen organisiert wird. Die von Malmström geführte Kommission ist verantwortlich für eine Politik, die in der Bundesrepublik wie auch in anderen Mitgliedsstaaten nicht durchsetzbar wäre. Zu Recht wird dies als „Policy Laundering“, kritisiert: Umstrittene innenpolitische Maßnahmen werden mittels Umweg über die Europäische Union vernebelt und kommen in den Mitgliedsstaaten als vermeintlich von dort vorgegeben wieder an. Der vorläufige Stopp von INDECT wäre erst mal eine Atempause. Es geht nicht nur um mehr Transparenz und Öffentlichkeit. Wir brauchen eine generelle Debatte darüber, was wir unter „Sicherheit“ verstehen und inwieweit wir gewillt sind, uns ihre technokratische Definition von Industrie und Polizei aufzwingen zu lassen. Vielleicht brauchen wir hierzu einen neuen Begriff.

MK: Vielen Dank Herr Hunko.

 

Zu guter Letzt

Übrigens, getestet werden sollen diese vernetzte Datenbanken an großen Menschenmassen, wie beispielsweise die,die bei der Fußball-Europameisterschaft 2012 in Polen erwartet werden. Unter anderen ist auch von Audiosensoren die Rede, die Fan-Gesänge auf bedrohliche Stimmlagen auswerten sollen. Zu der Frage, wie Besucher der EM ihre Persönlichkeitsrechte schützen können, nahm die Regierung keine Stellung. Da passen dann solche Meldungen das die Abhörschnittstelle in Mobile Geräte schon mit eingebaut ist. Sehr empfehlenswert ist auch der Bericht über die Politischen Netzwerke der Deutschen Regierung in Osteuropa. Wenn Sie wissen wollen wie sich solch eine Welt anfühlen könnte in der INDECT Realität wird, sollten Sie sich das TV-Projekt des geschassten Ex- SWR Chefs anschauen. Minority Report war viel zu viel Sci-Fi – ganz bewusst in eine ferne Zukunft gelegt. Alpha 0.7 findet vor unserer Haustür statt. Bedrückend.

Des Weiteren empfehle ich den geneigten LeserInnen den Vortrag aus Österreich: „INDECT oder woher weiß der Staat, was ich übermorgen mache?“ Und um die Debatte der Begriffe und Definitionen des Herrn Hunko weiterzuführen empfehle ich den Beitrag des Metronaut(en):.Über Privatsphäre und Staatsgeheimnisse Die oben erwähnte Sonderseite der Piraten finden Sie unter: http://www.stopp-indect.info/

Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

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