Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko

Von Andrej Hunko

Dieser Beitrag wird im Herbst 2012 in dem Sammelband »Die neuen Rechten in Europa zwischen Neoliberalismus und Rassismus« in der Reihe »Manuskripte der Rosa-Luxemburg-Stiftung« erscheinen. Wir danken den HerausgeberInnen Peter Bathke und Anke Hoffstadt für die Möglichkeit der Vorveröffentlichung dieser Fassung.

Der folgende Beitrag ist aus dem Blickwinkel eines politischen Akteurs geschrieben, der auf europäischer Ebene mit den verschiedenen Formen des Rechtspopulismus konfrontiert ist. Er erhebt nicht den Anspruch des letzten akademischen Schliffs, wohl aber den Anspruch, die drängendsten praktischen Fragen anzusprechen und Antworten anzudeuten. Im Mittelpunkt stehen die verschiedenen europäischen Phänomene des Rechtspopulismus und hier nochmal diejenigen in den wirtschaftlich starken Ländern Europas, wie etwa der Niederlande oder den Ländern Skandinaviens. Dies scheint mir vor allem deshalb sinnvoll zu sein, da diese Erfahrungen am ehesten geeignet sind, Rückschlüsse auf Strategien gegen die Etablierung rechtspopulistischer Formationen in Deutschland zu ermöglichen.

Angesichts der zu erwartenden Dramatik der „Eurokrise“, also der spezifischen Ausformung der Finanz- und Wirtschaftskrise unter den Konstruktionsbedingungen des Euroraumes und der EU, sowie der zu erwartenden Bedeutung, die die Europapolitik unter diesen Bedingungen für die Formierung rechtspopulistischer Parteien hat, wird dieser Aspekt eine herausgehobene Rolle spielen.

Zur Begriffsdefinition sei gesagt, dass ich die Charakterisierung, die von Sven Schönfelder auf der dem vorliegenden Band vorausgehenden Tagung „Die neuen Rechten in Europa zwischen Neoliberalismus und Sozialrassismus“ für die „neuen Rechten“ vorgenommen hat, zu Grunde lege: Es handelt sich um Formierungen, die „sich fast überall in Europa ‚demokratische‘ Namen geben und das Recht auf Meinungsfreiheit oder die Forcierung von Formen der direkten Demokratie dazu nutzen, um undemokratische Formen durchzusetzen.“1 Ergänzend sei erwähnt, dass die Rechtspopulisten dabei wie selbstverständlich neoliberale Paradigmen zu Grunde legen, diese oft noch zuspitzen und nationalistische „Lösungen“ anbieten. Dabei greifen sie meist auf rassistische Argumentationsmuster zurück.

Als humanistische Gesellschaft sollen hier all jene Kräfte zusammengefasst werden, welche sich auf die traditionellen Werte des Humanismus beziehen sowie die Errungenschaften der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte in Europa anerkennen und die die soziale Frage als solche diskutieren wollen – unabhängig davon, ob diese Errungenschaften als unzureichend oder begrenzt aufgefasst werden und unabhängig davon, ob diese Haltung religiös motiviert ist, oder nicht. Es geht also um jenen Teil der Gesellschaft, welcher sich auf grundlegende demokratische Rechte, wie sie zum Beispiel in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgehalten sind, bezieht und bereit ist, diese konsequent zu verteidigen.

Das norwegische Beispiel: Der Breivik-Schock und die Fremskrittspartiet – Mehr Demokratie statt Polizeistaatlichkeit

Im Juli 2011 schockierte die Tat des Anders Behring Breivik die Welt: Der 32-jährige Rechtsterrorist erschoss auf der norwegischen Insel Utøya 69 Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines Zeltlagers der Jugendorganisation der sozialdemokratischen Arbeiderpartiet. Zuvor hatte er durch einen Bombenanschlag im Regierungsviertel in Oslo acht Menschen getötet. Die Tat war minutiös geplant und auch im Hinblick auf die mediale Wirkung kühl kalkuliert. Kurz vor dem Attentat veröffentlichte Breivik sein 1.500 Seiten starkes „Manifest“, in dem er vorgab, Norwegen aus christlich-fundamentalistischer Perspektive gegen den „Kulturmarxismus“ und den Islam verteidigen zu wollen. Diese Ideen sind charakteristisch für die meisten rechtspopulistischen Parteien in Europa, auf die Breivik sich in seinem Manifest auch ausführlich bezieht.

Breivik war von 1999 bis 2006 Mitglied der rechtspopulistischen Fremskrittspartiet („Fortschrittspartei“) und übernahm Führungsfunktionen in ihrer Jugendorganisation. Diese 1973 zunächst als Steuersenkungspartei gegründete rechte Partei konnte ihren Anteil im norwegischen Parlament in den letzten zwei Jahrzehnten auf zuletzt 22,9 Prozent ausbauen. Ähnlich wie die niederländische Partij voor de Vrijheid („Freiheitspartei“) propagiert sie eine Mischung aus radikalem Neoliberalismus und aggressivem Anti-Islamismus. In der Folge der Anschläge sank die Zustimmung für die Fremskrittspartiet nach Umfragen auf 11,1 Prozent im Oktober 2011,2 erholte sich bis März 2012 jedoch auf 17,3 Prozent.3 Neben dem unmittelbaren Schock der Anschläge dürfte für diesen Rückgang in erster Linie das umsichtige und deeskalierende Agieren der rot-rot-grünen norwegischen Regierung verantwortlich sein: In einer ersten Pressekonferenz am Abend des 22. Juli sagte der norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg: „Ihr werdet unsere Demokratie und unser Engagement für eine bessere Welt nicht zerstören.“4 Und zwei Tage später: „Noch sind wir geschockt, aber wir werden unsere Werte nicht aufgeben. Unsere Antwort lautet: mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit.“5

Dass die norwegische Regierung auf diese Weise auf den seit dem Zweiten Weltkrieg schlimmsten Gewaltakt auf norwegischem Boden reagierte, ist keineswegs selbstverständlich. Die meisten europäischen Regierungen hätten wohl mit einer Verschärfung der Anti-Terrorgesetze, einer Einschränkung von demokratischen Rechten, einem Ausbau polizeistaatlicher Strukturen und möglicherweise auch mit einer ideologischen Anpassung an rechtspopulistische Themen reagiert.

Diese Reaktion kann als vorbildlich gelten. Umso bemerkenswerter ist, dass diese Strategie in Norwegen zumindest bislang erfolgreich zu sein scheint: Ein Drittel ihrer Wählerinnen und Wähler haben sich bislang von der Fremskrittpartiet abgewendet. Ein Element einer Strategie gegen Rechtspopulismus könnte also lauten: Mehr Demokratie statt mehr Polizeistaatlichkeit.

Der Aufstieg der „Wahren Finnen“ – EU-Kritik von Rechts

Drei Monate vor dem blutigen Attentat in Norwegen schockierte der Aufstieg der Perussuomalaiset („Wahre Finnen“ oder „Basisfinnen“) in Finnland Europa. Die 1995 gegründete (eher gemäßigt) rechtspopulistische Partei tritt vor allem EU-kritisch auf, lehnt Homosexualität und Zuwanderung ab und möchte Schwedisch als verpflichtende Fremdsprache abschaffen. Neben diesen klassisch rechtspopulistischen Themen hat sie wirtschaftspolitisch einige linke Forderungen übernommen, etwa die moderate Erhöhung der Steuer auf Kapitalgewinne und die Einführung einer Vermögenssteuer.

Bei den Parlamentswahlen am 17. April 2011 konnten die „Wahren Finnen“ ihren Stimmenanteil von 4,1 auf 19,1 Prozent fast verfünffachen. Ihr Wahlkampf wurde maßgeblich unter dem Tenor „Wir zahlen nicht für die Portugiesen“ und „Kein finnisches Steuergeld für die Südländer“ im Hinblick auf das anstehende finanzielle „Hilfspaket“ für Portugal geführt, welches von Europäischer Union und Internationalem Währungsfonds (IWF) geschnürt wurde.

Ähnlich wie Deutschland und die Niederlande gehört Finnland innerhalb des Euroraumes zu den wirtschaftlich starken Ländern, die Exportüberschüsse produzieren. Entsprechend wird in diesen Ländern die Eurokrise maßgeblich als Staatsschuldenkrise aufgrund laxer Haushaltführung insbesondere in den südeuropäischen Ländern erklärt. Die einzelnen Austeritätsprogramme von EU, IWF und Europäischer Zentralbank (EZB) sowie die EFSF6, der ESM7 und der Fiskalpakt8 werden als „Hilfspakete“ für die wirtschaftlich schwächeren Euroländer verkauft.

Den „Wahren Finnen“ ist es gelungen, auf Grundlage dieser (falschen) Paradigmen das Unbehagen über die gigantischen Schutzschirme aus Steuergeldern nationalistisch anzusprechen und insbesondere in ehemaligen Hochburgen der finnischen Sozialdemokratie und der finnischen Linken zu punkten. Voraussetzung für diesen Erfolg ist, dass es in den Überschussländern des Euroraumes kaum einen gesellschaftlichen Diskurs darüber gibt, dass die Handelsungleichgewichte innerhalb der Eurozone eine maßgebliche Krisenursache darstellen und dass die Rettungspakete nicht die Griechen oder Portugiesen retten, sondern deren Gläubiger: zumeist handelt es sich dabei wiederum um Banken und Konzerne der wirtschaftlich starken Länder.

Deutschland: Eine neue rechtspopulistische Partei in den Startlöchern

Die Entwicklung in Finnland ist auch deshalb so bedeutsam, weil die gesellschaftlichen und diskursiven Rahmenbedingungen denen in Deutschland relativ nahe kommen. Es ist zu erwarten, dass sich in Deutschland entlang einer EU-Kritik von rechts ernsthafte Formierungsversuche einer rechtspopulistischen Partei noch vor der Bundestagswahl im September 2013 vollziehen. Unter den voraussehbar zunehmend kritischeren Bedingungen einer sich zuspitzenden Krise der EU und ihrer Währung, bei ihrem jetzigen Kurs und ihrer gegenwärtigen Verfasstheit, sowie mit Blick auf den Mangel an einer von der breiten Gesellschaft wahrgenommenen und mitgetragenen Dekonstruktion der Ideologeme rund um ESM und Fiskalpakt dürften diese Versuche aussichtsreich sein.

Deutschland ist das Land, das am stärksten von der Eurokrise und der gegenwärtigen Konstruktion der EU profitiert. Die fehlende Koordinierung der Handelsungleichgewichte in einem Währungsraum ermöglicht dauerhafte Exportüberschüsse auf Kosten schwächerer Volkswirtschaften. Die seit 2008, mit dem Beginn der Finanzkrise und im Geleit der Bankenrettungspakete auseinander klaffenden Refinanzierungszinsen an den Kapitalmärkten ermöglichen es Deutschland, quasi zum Nulltarif Kapital aufzunehmen und dieses, als „Rettung“ getarnt, teurer weiter zu verleihen. So wird die Stellung Deutschlands innerhalb der EU systematisch ausgebaut. Die erzwungenen Privatisierungsprogramme in den so genannten Programmländern Griechenland, Portugal und Irland bieten dem deutschen Kapital die Möglichkeit der Aneignung der verbliebenen Industrien.

Flankiert wird dieser Vorgang durch die Aufspannung gigantischer „Rettungsschirme“ auch aus deutschen Steuergeldern. Die Konstruktionen EFSF und ESM entziehen sich demokratischer Kontrolle und sind für den Normalbürger kaum noch zu durchschauen. Sie werden der Öffentlichkeit als Solidaritäts- und Hilfsmaßnahmen für Länder verkauft, die „über ihre Verhältnisse gelebt“ hätten, obwohl die Staatsverschuldung bis Mitte 2008 in der Eurozone rückläufig war und erst durch die Bankenrettungspakete stark anstieg. Die brutalen Austeritätsprogramme werden von rassistischer Stimmungsmache etwa gegen die „faulen Griechen“ begleitet.

Es gibt in der Bevölkerung in Deutschland ein breites und mehrheitlich geteiltes Unbehagen angesichts der sich vollziehenden und kaum zu verstehenden Vorgänge auf EU-Ebene. Dieses Unbehagen wird sich im Jahr 2012 in der Auseinandersetzung um die Einführung des ESM kristallisieren. Dieses Unbehagen oszilliert zwischen diffuser Kritik an den Banken und Finanzmärkten sowie „Brüssel“ einerseits, und rassistischen Stimmungen gegen die Griechen oder die südeuropäischen Länder im Allgemeinen andererseits.

Hier setzt der Rechtspopulismus an und hier liegen gegenwärtig seine größten Durchbruchschancen in Deutschland. Das berechtigte Unbehagen über die nicht mehr kontrollierbaren Institutionen wie ESM auf supranationaler Ebene, über die gigantische Verwendung öffentlicher Gelder zu seiner Finanzierung und nicht zuletzt über die Aushebelung des öffentlich noch wahrnehmbaren nationalen Parlaments und der gleichzeitig mitgelieferten Erklärungsmuster von der angeblichen Schuldenkrise aufgrund überbordender Sozialausgaben liefern den idealen Nährboden. Rechtspopulisten können ihre charakteristische Mischung aus Ressentiments gegen „die da oben“ oder „die in Brüssel“ und rassistischer Stimmungsmache gegen die Südländer mit fragwürdiger D-Mark-Nostalgie verbinden. Je krisenhafter die Entwicklung in der EU sein wird, desto nahrhafter dieser Boden.

Die Legitimierung der herrschenden Politik und die Übernahme ihrer Paradigmen bietet die denkbar schlechteste Ausgangsbasis einer Gegenstrategie gegen Rechtspopulismus. Wer etwa allein den Terminus „Griechenlandhilfe“ unreflektiert übernimmt, fördert diesen Nährboden. Denn kein Euro, der aus Steuermitteln abgezweigten Rettungsgelder kommt bei der griechischen Bevölkerung an. Bedient werden lediglich die Gläubiger der oft höchst zweifelhaft zustande gekommenen Schulden, meist Banken, Hedgefonds und Konzerne der wirtschaftlich starken EU-Staaten.

Niederlande, Dänemark, Frankreich

Schauen wir uns unter diesen Bedingungen die Entwicklung in den Niederlanden, in Dänemark und Frankreich an. Der Aufstieg der Partij voor de Vrijheid (PVV) unter Geert Wilders ist eines der augenfälligsten Phänomene des Rechtspopulismus in Europa. Sie erhielt 2006 bei den niederländischen Parlamentswahlen aus dem Stand 5,9 Prozent der Stimmen und 2010 15,5 Prozent. Nachdem die Umfragewerte zwischenzeitlich bei über 20 Prozent lagen, ist die Zustimmung in den letzten Monaten stark zurück gegangen und liegt mittlerweile deutlich unter dem letzten Wahlergebnis. Dieser Rückgang korreliert auffällig mit dem Aufstieg der linken Socialistischen Partij (SP), die seit dem Jahreswechsel nach Umfragen stärkste Partei ist.9

Kernthema der PVV ist die Ausländer- und insbesondere die Islamfeindlichkeit. Aber auch die EU-Kritik von rechts spielte beim Aufstieg der PVV eine entscheidende Rolle. Forderungen sind etwa: EU-Austritt der Niederlande bei Aufnahme der Türkei, Austritt aus dem Schengener Abkommen, Abschaffung des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission. Nachdem am 1. Juni 2005 beim ersten Referendum seit über 100 Jahren 61,6 Prozent der Niederländer den EU-Verfassungsvertrag abgelehnt hatten, nutzte der vormalige Abgeordnete der rechtsliberalen VVD (Volkspartij voor Vrijheid en Democratie), Geert Wilders, die Stimmung, und gründete im Februar 2006 die PVV, die noch im gleichen Jahr den Sprung ins Parlament schaffte.

Ein ähnliches Szenario ist im Vorfeld der Bundestagswahl 2013 in Deutschland vorstellbar, ja sogar wahrscheinlich. Die Auseinandersetzungen am rechten Flügel der FDP um die Einführung der EFSF sind dabei als Vorbote zu sehen. Angesichts der Umfragewerte ist es vorstellbar, dass diese Partei zerfällt und sich aus der Konkursmasse genügend Akteure finden, die ein ähnliches Projekt wie Wilders in den Niederlanden hochziehen. Unter diesem Hintergrund ist es fatal, dass in der öffentlichen Wahrnehmung kritische Stimmen von links zur Krisenpolitik der EU fast vollständig ausgeblendet werden. Der breiten Bevölkerung werden als Kritiker zweifelhafte Akteure vom rechten Flügel der FDP oder der CDU angeboten. Auf diese Weise wird das zuvor erwähnte Unbehagen nach rechts kanalisiert.

Die bemerkenswerten Verluste der PVV in den niederländischen Umfragen in den letzten Monaten sind auch auf die Stärke der linkssozialistischen SP zurück zu führen. Die SP hat sich über viele Jahre eine hohe Glaubwürdigkeit in der EU-Kritik von links erarbeitet. An der Organisierung der Ablehnung des Verfassungsvertrages 2005 hatte sie einen starken Anteil. Die EU-Kritik der SP ist inhaltlich fundiert, insbesondere der neoliberale Charakter der gegenwärtigen EU-Konstruktion wird ausgearbeitet und kommuniziert. Die so genannten Rettungspakete wurden ebenso wie der Lissabonvertrag abgelehnt. Zugleich hat die SP ein antirassistisches und internationalistisches Profil.

Ähnliche Tendenzen wie in den Niederlanden sind auch in Dänemark festzustellen. Die rechtspopulistische Dansk Folkeparti („Dänische Volkspartei“) trat erstmals 1998 bei den Wahlen an und erzielte aus dem Stand 7,4 Prozent der WählerInnenstimmen. Von 2001 (12,0 Prozent) bis 2011 stützte sie eine liberal-konservative Minderheitsregierung und setzte 2011 die Wiedereinführung von Grenzkontrollen trotz Schengen-Mitgliedschaft durch. Bei den Parlamentswahlen im November 2011 wurde die liberal-konservative Regierung nach zehn Jahren abgewählt. Der Zuspruch für die Dansk Folkeparti ging von 13,9 Prozent (2007) auf 12,3 Prozent zurück. Wahlgewinnerin war die linkssozialistische Enhedslisten („Einheitsliste“), die ihren Stimmenanteil mit einem Sprung von 2,2 auf 6,7 Prozent mehr als verdreifachte und seitdem eine sozialdemokratisch geführte Regierungskoalition toleriert, ohne sich an der Regierung zu beteiligen. Diese Entwicklung ist auch insofern bemerkenswert, als dass die Enhedslisten neben einem ausgeprägt internationalistischen und antirassistischen Profil ausgesprochen EU-kritisch ist und zu den Europawahlen in einem Bündnis mit dem Namen „Volksbewegung gegen die EU“ antritt.

In Frankreich zeichnet sich im Vorfeld der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Frühjahr 2012 eine ähnlich Entwicklung ab. Noch im März 2011 wurden der Führerin des Front National, Marine Le Pen, 23 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang zur Präsidentschaftswahl zugetraut, womit sie in die Stichwahl eingezogen wäre. Dieser Anteil ist zuletzt auf 17 Prozent zurück gegangen.10 Auch wenn der Front National schon keine klassisch rechtspopulistische Partei mehr ist, sondern aufgrund seiner Struktur eher als rechtsextrem oder neofaschistisch charakterisiert werden kann, so ist die Themenbesetzung – Ausländer- und Islamfeindlichkeit, EU-Kritik von rechts – doch ähnlich wie bei den klassisch rechtspopulistischen Formationen.

Der Wahlkampf in Frankreich fällt in die Zeit der geplanten Ratifizierung von Fiskalpakt und ESM und ist entsprechend durch die europapolitische Diskussion geprägt. Der in Umfragen führende sozialdemokratische Kandidat François Hollande sah sich unter dem Druck der innenpolitischen Debatte gezwungen, „Nachverhandlungen“ zu fordern und seine Unterschrift, im Falle seiner Wahl, in Frage zu stellen. Getrieben wird er dabei vom linken Kandidaten Jean-Luc Mélenchon, der einen ausgesprochen EU-kritischen Wahlkampf führt. So heißt es im Wahlmanifest der Linksfront unter dem Titel „L’humain d’abord“ („Der Mensch zuerst“): „Im Vertrag von Lissabon laufen alle Sackgassen des Kapitalismus unserer Zeit zusammen. Er setzt den freien und unverfälschten Wettbewerb als Vorrecht gegenüber den sozialen Rechten, die durch die demokratischen Kämpfe und die Kämpfe der Arbeiter in den letzten Jahrhunderten erobert wurden. Er fördert den Freihandel auf Kosten der Umwelt und der sozialen Gerechtigkeit. Er verstärkt das autoritäre Abdriften der Europäischen Union indem er die Macht in den Händen nicht gewählter Institutionen konzentriert. Es ist also illusorisch zu glauben, dass man die soziale Not besiegen, die ökologische Katastrophe lösen oder die demokratische Krise regeln könne, ohne zuvor mit dem Vertrag von Lissabon gebrochen zu haben, um ein anderes Europa aufzubauen.“11

Mélenchon hat Erfahrung mit der linken Besetzung europapolitischer Themen, gehörte er doch zu den Initiatoren der linken Nein-Kampagne gegen den Verfassungsvertrag, der am 29. Mai 2005 mit 56 Prozent der Stimmen per Referendum abgelehnt wurde. Damals ist es ihm und seinen MitstreiterInnen innerhalb der sozialdemokratischen Parti Socialiste gelungen, ein breites Bündnis von links zu schmieden, das die Mehrheit auch der grünen und sozialdemokratischen AnhängerInnen erreichte.

Die jüngsten Entwicklungen in den Niederlanden, in Dänemark oder in Frankreich sollten nicht überbewertet werden. Aber sie zeigen doch, dass der vermeintlich unaufhaltsame Aufstieg des Rechtspopulismus nicht zwangsläufig ist.

Ungarn, die EU und der Europarat

In der SWP-Studie „Rechtspopulismus. Funktionslogiken, Gelegenheitsstrukturen, Gegenstrategien“ weist Oliver Geden (2007) zu Recht darauf hin, dass „die Warnung vor einer Zunahme von Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus sowie vor einer weiteren Ausbreitung von Fremden- und Minderheitenfeindlichkeit“ zwar „gerechtfertigt“ ist, aber „wesentliche Merkmale des Rechtspopulismus“ verfehlt und daher zu kurz greift. Insbesondere die pseudoradikaldemokratisch formulierte „bedingungslose Orientierung an den (imaginierten) Bedürfnissen ‚des (eigenen) Volkes‘“12 lasse diese Warnungen nur sehr begrenzt wirken.

Geden orientiert letztlich auf die Sanktionsmöglichkeiten der EU durch Einleitung des Artikel-7-Verfahrens, das die Möglichkeit beinhaltet, Mitgliedsrechte einzelner Staaten zu suspendieren, wenn eine „schwerwiegende und anhaltende Verletzung“13 der europäischen Grundrechte gegeben ist. Voraussetzung für eine solche Entscheidung ist allerdings eine 80-prozentige Mehrheit im Europäischen Rat.

Dieser Fall ist nun konkret eingetreten: Seit April 2010 regiert in Ungarn die national-konservative bis rechtspopulistische Fidesz-Partei mit einer 2/3-Mehrheit, die die Möglichkeit zur Verfassungsänderung beinhaltet. Die jüngsten Gesetzes- und Verfassungsänderungen dieser Regierung stellen nach Ansicht vieler Beobachter eine schwere Verletzung europäischer Grundrechte, etwa in Bezug auf die Pressefreiheit, dar. Das Europäische Parlament hatte noch im Februar 2012 mehrheitlich die Einleitung eines entsprechenden Verfahrens gefordert.

Ähnlich sieht es im Europarat aus. Hier hatte eine Gruppe von Abgeordneten der parlamentarischen Versammlung, darunter der Autor dieses Beitrages, Anfang 2011 eine „Motion“ eingebracht, die eine Wiederaufnahme des „Monitoring-Verfahrens“ gegen Ungarn fordert.14 Mit diesem Verfahren wird beobachtet, wie der jeweilige Mitgliedstaat seine mit der Mitgliedschaft im Europarats eingegangenen Verpflichtungen in den Bereichen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte einhält. Es wurde bislang überwiegend in den osteuropäischen Ländern angewendet, die beim Übergang zur Demokratie begleitet werden sollten.

Es bleibt abzuwarten, wie sich EU und Europarat letztlich gegenüber Ungarn positionieren. Sollte es hier tatsächlich zu Verfahren gegen Ungarn kommen, wäre es für beide supranationale Organisationen ein Novum: Die EU hätte ihren ersten Artikel-7-Fall, der Europarat würde erstmalig ein Monitoring-Verfahren gegen ein eigenes und gleichzeitig EU-Mitgliedsland einleiten.

Man sollte jedoch nicht allzu viel Vertrauen in die supranationalen Organisationen legen. Was, wenn die EU sich selbst schwerer Grundrechteverletzungen schuldig macht? Man denke hier etwa an die von Flüchtlingsorganisationen scharf kritisierte Migrationspolitik an den Außengrenzen oder an die aktuelle Aussetzung von Grundrechten wie dem Recht auf kollektive Tarifverhandlungen in Griechenland. Was, wenn unter der Wucht der Finanzkrise das Bündnis zwischen Kapitalismus und Demokratie, zwischen Freiheit und Marktwirtschaft dahin schmilzt, wenn unmittelbare demokratische Interessen und die Interessen der Finanzmärkte einander gegenüber stehen, wie dies etwa in Griechenland bei der Frage eines Referendums oder der Abhaltung von Neuwahlen der Fall war? Was, wenn die EU selbst Rechtspopulisten in die Regierung hievt, wie im November 2011 die griechische LAOS-Partei? Gerade die EU in ihrer gegenwärtigen Verfasstheit dürfte eher dazu neigen, unter diesen Bedingungen den Grundrechteschutz, auf den Geden vertraut, und den er als strategischen Hebel gegen Rechtspopulisten an der Macht ansieht, anderen Interessen nachzuordnen.

Fazit

Die klassischen Strategien gegen Rechtspopulismus bleiben selbstverständlich bedeutsam. Dazu gehört die gesellschaftliche Ächtung, der unmittelbare Protest bis hin zur zivilgesellschaftlichen Konfrontation, wie etwa in Köln erfolgreich gegen PRO-Köln praktiziert. Dazu gehört auch die Verurteilung von Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus.

Je größer jedoch die gesellschaftliche Erschütterung durch die krisenhafte Entwicklung auf europäischer Ebene, je mehr das Scheitern des gegenwärtigen radikal-neoliberalen Modells der EU als Scheitern der europäischen Integration an sich wahr genommen wird, desto besser scheint die Chance einer rechtspopulistischen Rückbesinnung auf die Nationalstaatlichkeit, wenn kein Gegenentwurf der humanistischen Gesellschaft vorliegt und massenwirksam wird.

Der gegenwärtig wichtigste Stichwortgeber des Rechtspopulismus in Deutschland, Thilo Sarrazin, hat angekündigt im Sommer ein Buch zur Eurokrise zu veröffentlichen. Es ist zu befürchten, dass ein solches Buch von einer ähnlichen Medienkampagne begleitet wird, wie sein Machwerk „Deutschland schafft sich ab“. Die Mischung aus Rassismus und radikalisiertem Neoliberalismus, die vom ehemaligen Finanzsenator und Bundesbanker zu erwarten ist, könnte die notwendige gesellschaftliche Formierung erzeugen, um einer neuen rechten Partei zum Durchbruch zu verhelfen. Schon jetzt wird medial darauf hingearbeitet: Aus dem öffentlichen Diskurs wird weitestgehend jede linke Kritik an den absurden Mechanismen, die gegenwärtig auf EU-Ebene installiert werden, ausgeblendet. Das Unbehagen wird gezielt nach rechts kanalisiert. Die Vorbereitung auf diese Auseinandersetzung ist m. E. gegenwärtig der zentrale strategische Hebel im Kampf gegen den Rechtspopulismus in Deutschland.

So argumentiert auch Professor Costas Lapavitsas: „Wenn die Linke diese Fragen nicht aufgreift und den völlig gerechtfertigten Euroskeptizismus der europäischen Arbeiterklasse in einen Kampf gegen die Diktate der Währungsunion verwandelt, werden die Rechtsradikalen davon profitieren. Wenn der Zusammenbruch des Euro näher kommt, werden wir erleben, dass rechte Interpretationen in Europa plötzlich mehrheitsfähig werden - sofern die Linke keine radikale Alternative bietet. Einen Vorgeschmack darauf haben wir bekommen, als die deutschen Medien die unglaublichsten Geschichten über die Griechen geschrieben haben.

 


Dieser Beitrag wird im Herbst 2012 in dem Sammelband »Die neuen Rechten in Europa zwischen Neoliberalismus und Rassismus« in der Reihe »Manuskripte der Rosa-Luxemburg-Stiftung« erscheinen. Wir danken den HerausgeberInnen Peter Bathke und Anke Hoffstadt für die Möglichkeit der Vorveröffentlichung dieser Fassung.

 

Literatur

Front de Gauche (2012): L’humain d’abord. Le programme du Front de Gauche et de son candidat commun Jean-Luc Mélenchon. o. O., http://www.placeaupeuple2012.fr/wp-content/uploads/humain_dabord.pdf [23.03.2012].

Geden, Oliver (2007): Rechtspopulismus. Funktionslogiken – Gelegenheitsstrukturen – Gegenstrategien, Berlin (= Studie der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ des „Deutschen Instituts für Internationale Politik und Sicherheit“), http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2007_S17_g... [09.03.2012].

Parlamentarische Versammlung des Europarats (2011): Serious setbacks in the fields of the rule of law and human rights in Hungary, Doc. 12490 (25.01.2011), http://assembly.coe.int/Documents/WorkingDocs/Doc11/EDOC12490.pdf [09.03.2012].

Sandeson, Michael (2012): Progress popularity up. In: The Foreigner (08.03.2012), http://theforeigner.no/pages/columns/progress-popularity-up/ [19.03.2012].

Spiegel Online (2012): Marine Le Pen fehlen noch 50 Stimmen (02.03.2012), http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,818775,00.html [19.03.2012].

Süddeutsche Zeitung (2011): „Das ist ein Albtraum“. Reaktionen auf die Attentate in Norwegen (23.07.2011), http://www.sueddeutsche.de/politik/reaktionen-auf-die-attentate-in-norwe... [09.03.2012].

Die Zeit Online (2011): „Norwegens Art, die Freiheit zu verteidigen“ (25.07.2011), http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-07/stoltenberg-norwegen-attentat [09.03.2012].

Views and News from Norway (2011): Progress Party falls to new low (13.10.2011), http://www.newsinenglish.no/2011/10/13/progress-party-falls-to-new-low/ [19.03.2012].

 

Fußnoten

Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko