Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko

„Anatropi stin Hellada minima stin Evrope“ (Der Umsturz in Griechenland ist ein Signal für Europa) – mit diesem Slogan erreichte das Linksbündnis SYRIZA bei den Parlamentswahlen am 6. Mai 16,8% der Stimmen und wurde knapp hinter den Konservativen zweitstärkste Partei. Kernauseinandersetzung im Wahlkampf war die Haltung zur Umsetzung des „Memorandums“, eines Vertrages Griechenlandes mit der „Troika“ aus Europäischer Zentralbank (EZB),Internationalem Währungsfonds (IWF) und EU-Kommission, das ein detailliertes Programm der sozialen Zerstörung, des Abbaus von Arbeitsrechten und der Privatisierung beinhaltet. Im Vorfeld der Wahlen hatten nur die zwei Parteien, die sich bislang im Wechsel die Macht in Griechenland geteilt hatten, die konservative Nea Demokratia (ND) und die sozialdemokratische PASOK, schriftlich erklärt, das Memorandum umzusetzen.

Da ND und PASOK zusammen trotz des Zuschlags von 50 der 300 Sitze für die stärkste Partei keine eigene Mehrheit hatten, versuchten sie eine weitere Partei in eine Regierung einzubinden. Diese Verhandlungen scheiterten an der Frage der Umsetzung des Memorandums: Während ND und PASOK dieses Programm unverändert fortsetzen wollten, forderten die anderen Parteien Nachverhandlungen. SYRIZA ging mit Alexis Tsipras mit folgenen fünf Punkten in die Verhandlungen:

1. Die Notwendigkeit einer sofortigen Beendigung der Ausarbeitung der Memorandumsmaßnahmen und besonders der schändlichen Gesetze, durch die die Gehälter und Renten noch weiter gekürzt werden sollen.

2. Die Aufhebung der Gesetze, die grundlegende Arbeitsrechte einschränken, und speziell des Gesetzes das festlegt, dass ab sofort, ab dem 15. Mai, die Nachwirkung der Tarifverträge und auch die Gültigkeit der Tarifverträge selbst beendet sind.

3. Die Beförderung einer sofortigen Veränderung des politischen Systems, um Demokratie und soziale Gerechtigkeit zu stärken, begonnen mit einer Veränderung des Wahlrechts, der Herstellung voller Proportionalität und die Abschaffung des Gesetzes über die Ministerverantwortung.

4. Öffentliche Kontrolle des Bankensystems, das heute, obwohl es rund 200 Milliarden Euro in bar und als Garantien erhalten hat, noch immer in der Händen der Manager ist, die es in den Bankrott getrieben haben. Wir fordern die Veröffentlichung des „Black Rock“-Reports. Wir fordern die Transformationen der Banken in ein Instrument zur Wirtschaftsentwicklung und zur Stärkung der kleinen und mittelständischen Unternehmen.

5. Last but not least: Die Schaffung eines öffentlichen Rechnungsprüfungskomitees, das die riesige Schuldenlast untersucht, ein Moratorium für die Rückzahlung der Schulden und die Forderung nach einer fairen und nachhaltigen europäischen Lösung.

Unter dem Druck der EU und maßgeblich der deutschen Bundesregierung scheiterten die Verhandlungen. Kein einziger dieser Punkte wurde auch nur als ansatzweise diskussionswürdig angesehen. In den aktuellen Umfragen der für den 17. Juni angesetzten Neuwahlen liegt SYRIZA mittlerweile meist knapp vor den Konservativen bei ca. 25%. Die Chancen für eine SYRIZA-geführte linke Regierung, die sich gegen Kernelemente der EU-Politik stellt, stehen also gut. Die Auseinandersetzung ist von geradezu historischer Bedeutung: Es geht um die Frage, ob es innerhalb der gegenwärtigen Verfasstheit der Europäischen Union überhaupt noch möglich ist, in einem Mitgliedsland linke und soziale Politik zu machen.

SYRIZA

SYRIZA heißt wörtlich übersetzt „Bündnis der radikalen Linken“. Kernpartei dieses Bündnisses ist Synaspismos (Koalition der Linken, der Bewegungen und der Ökologie), eine Abspaltung der in Griechenland traditionell starken und orthodoxen Kommunistischen Partei. Vor den Parlamentswahlen 2004 schloss sich Synaspismos mit verschiedenen linkssozialistischen Gruppen zum Wahlbündnis SYRIZA zusammen. Die Wahlergebnisse lagen meist zwischen 3% und 5%, zuletzt bei 4,6%. Im Februar 2008 setzte sich Alexis Tsipras gegen den eher sozialdemokratisch orientierten Fotis Kouvelis durch. Im Juni 2010 kam es zur Rechtsabspaltung unter Kouvelis. Etwa 550 Mitglieder, darunter vier Parlamentsabgeordnete, verließen das Bündnis und gründeten die „Demokratische Linke“ (DIMAR). Anlass der Spaltung war u.a. die Zustimmung dieser vier zum ersten Griechenlandpaket. Die Linksfraktion im Bundestag hatte das Paket genauso wie der Rest von SYRIZA abgelehnt.

Durch die konsequente Linie, einerseits die Memoranda klar abzulehnen und andererseits nationalstaatliche Illusionen zurückzuweisen, wuchs die Popularität von SYRIZA in den letzten Monaten dramatisch. SYRIZA setzt das politisch konsequent auf die Agenda, was nach Umfragen die meisten Griechinnen und Griechen denken: Einerseits die prinzipienfeste Ablehnung der Austeritätsdiktate und anderseits den Verbleib in der Europäischen Union.

Rauswurf aus der EU?

Gegen SYRIZA wird nun seitens der selbsternannten EU-Eliten und insbesondere der deutschen Bundesregierung eine mächtige Drohkulisse aufgebaut: Wenn die Griechinnen und Griechen am 17. Juni SYRIZA wählen, habe das den Ausschluss Griechenlands aus der EU zur Folge. Allerdings gibt es dafür keine Rechtsgrundlage: Im Lissabonvertrag ist zwar geregelt, wie Staaten freiwillig austreten können, ein Ausschlussrecht ist jedoch nicht vorgesehen. Auf meine diesbezügliche Nachfrage erklärte die Bundesregierung, es gäbe kein Ausschlussszenario: „Nach der Rechtslage kann man kein Land, das Mitglied der Euro-Zone ist, gegen seinen Willen aus der Euro-Zone ausschließen.

Es könnte sein, dass sich die Drohkulisse gegenüber SYRIZA und Griechenland als Scheinriese erweist: Je genauer man hinschaut, desto kleiner wird er. Man sollte daran erinnern, dass auch Island in der Krise unter Druck gesetzt wurde, zunächst die Banken zu retten und dann die Schulden einer privaten Zockerbank zu übernehmen. Beides wurde abgelehnt und Island ist überraschend gut aus der Krise heraus gekommen.

Historische Auseinandersetzung

Die jetzt staatfindende Auseinandersetzung ist von historischer Bedeutung. Gelingt es den dominanten Kräften in der EU, Griechenland zur Fortsetzung des Sozialdemontage- und Privatisierungskurses zu zwingen, hätte das auch für die Menschen in den anderen Länder innerhalb der EU fatale Folgen. Bleibt die griechische Bevölkerung und SYRIZA standhaft, dann wäre das ein Signal auch für die anderen Länder, die unter dem Austeritätsregime leiden. Die Bedingungen sind gegenwärtig nicht schlecht: Nicht nur mit Wahl von François Hollande in Frankreich deutet sich zumindest ein begrenzter Paradigmenwechsel an. Auch auf internationaler Ebene mehren sich die Stimmen, die eine tiefgreifende Umorientierung fordern. Dass mein Bericht zur Austeritätspolitik im Sozialausschuss des Europarates überraschend angenommen wurde, darf als weiteres kleines Indiz dafür gelten.

Solidarität

Entscheidend ist jetzt Solidarität mit Griechenland und SYRIZA. In den deutschen Medien wird maßlos gegen SYRIZA und die Griech/innen gehetzt, es wird der Eindruck vermittelt, die Menschen in Griechenland wollten auf Kosten der deutschen Steuerzahler leben. Das Gegenteil ist richtig: Die Menschen in Griechenland führen einen Kampf gegen einen dramatischen Sozial- und Demokratieabbau in Europa, der auch auf die deutsche Bevölkerung zukommen wird, wenn sie ihn verlieren. Wünschenswert wären jetzt überall Griechenland-Solidaritätskomitees, die sich gegen die vorherrschende Krisenbewältigung durch die Troika und die Verzerrungen in den deutschen Medien wenden.

Andrej Hunko

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