Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

Andrej Hunko

Notizen aus Athen, Andrej Hunko 03.11.2011

Als ich Dienstagmittag, den 1. November 2011 am Flughafen Athen ankam, schlug die Nachricht in meinem Kopf wie eine Bombe ein: der griechische Premier Papandreou hat angekündigt, die Bevölkerung über das neue EU/IWF-Paket per Referendum abstimmen zu lassen. Europaweiter Schock, die Börsen 5 Prozent im Minus.

Im Flugzeug aus Bishkek hatte ich mich noch durch die 300 Seiten Vorbereitungsmaterial gearbeitet, die der EU-Ausschuss der fünfköpfigen deutschen Delegation des Bundestages zusammengestellt hatte: Tragfähigkeitsanalysen zur Schuldenlast Griechenlands, ausführliche Bewertungen des BDI und der Deutschen Bank, Schrumpfungsprognosen der griechischen Wirtschaft um mehr als 5,5 Prozent in 2011 und nochmal mindestens 3 Prozent 2012. Dafür ausführliche Darstellungen, welche Bereiche öffentlichen Eigentums noch privatisierbar seien, es fehlten nur die Inseln und die Akropolis.

Ein Artikel der Financial Times Deutschland trug die Überschrift: "Huch der Patient ist tot". In der Tat, hier wird am Land, das gemeinhin als Geburtsort der Demokratie gilt und deren Namensgeber ist, eine Schocktherapie versucht, an deren Ende der wirtschaftliche Kreislaufstillstand stehen kann. Griechenland ist der Testfall einer maßgeblich von der deutschen Regierung getriebenen, in neoliberaler Manie verfallenen EU.

Die empörten Reaktionen auf Papandreous Verzweiflungsvorstoß, das eigene Volk befragen zu wollen, veranlassen mich zur Abgabe der an sich völlig selbstverständlichen Erklärung Referendum ist elementares demokratisches Recht Griechenlands. Natürlich weiß ich, dass Papandreou nicht über Nacht zum Basisdemokraten mutiert ist, sondern nur versucht seine Haut zu retten: Bei allen bisherigen EU/IWF-Paketen hatte etwa die Linkskoalition SYRIZA Referenden gefordert, die der Premier immer abgelehnt hatte. Nun, wo der griechische Karren tief im Dreck steckt, die sozialdemokratische PASOK dramatisch an Rückhalt verliert, die eigene Fraktion bröckelt und alle Welt Neuwahlen fordert, versucht sich der Premier mit dem Referendumsvorstoß über die Zeit zu retten.

Ich treffe in einem Cafe Sonia und Giorgos Mitralis, die mich im Mai zu der Konferenz "Debt & Austerity" nach Athen eingeladen hatten. Der Cappucino kostet 4,50 Euro -Dank der Mehrwertsteuererhöhungen. Giorgos sagt, der Sturz von Papandreou sei nur eine Frage von Tagen, vielleicht von Stunden. Ausschlag für sein Referendums-Manöver seien die Massenproteste vom 28. Oktober in Thessaloniki gewesen, die die alljährliche Militärparade zum Jahrestag des Überfalls von Italien auf Griechenland verhinderten und Spitzenpolitiker/innen vertrieben. Man müsse sich gegen das Referendum aussprechen und zum sofortigen Sturz des verhassten Premiers aufrufen. Die PASOK würde bei Neuwahlen ein fürchterliches Debakel erleiden.

Abends dann Essen in der Residenz des Gesandten der deutschen Botschaft. Mit dabei der Geschäftsführer der IHK Griechenlands. Motto: deutsch-griechisches Freundschaftsessen. Allerdings kommen die griechischen Gäste nicht. Mag sein, dass sie aufgrund der turbulenten Lage andere Termine haben. Mag aber auch sein, dass ihnen gerade nicht nach deutsch-griechischer Freundschaft ist. Die Bestandsaufnahme des Gesandten und des IHK-Geschäftsführers zu den Ergebnissen der verordneten Therapie ist überraschend kritisch, sicherlich nicht links, aber der Blickwinkel aus der griechischen Realität ist eben doch anders als der vom deutschen EU-Ausschuss. Insgesamt eine sehr betretene Stimmung.

Am nächsten Vormittag Treffen mit Ausschüssen des griechischen Parlaments. Ich bin froh, dass griechischerseits jeweilig Vertreter/innen der Linkskoalition SYRIZA dabei sind. "Wir Griechinnen und Griechen sind die Versuchskaninchen in einem neoliberalen Labor" sagt ein Genosse. Die Stimmung gegenüber den Deutschen ist äußerst kritisch, fast feindselig, manchmal argumentativ unterlegt, manchmal (meist von der rechten Opposition ND und Laos) stereotyp. Immer wieder wird die Frage der Kriegsreparation gestellt. Der Rest der deutschen Delegation ist geschockt. Derart mit den Folgen der eigenen Politik konfrontiert zu werden, hatte man so nicht erwartet.

Ich treffe Alexis Tsipras, den Fraktionsvorsitzenden von SYRIZA. Sie seien nicht gegen das Referendum, die primäre Forderung seien jedoch Neuwahlen. Ob Papandreou am Freitag die Vertrauensfrage gewinnt sei fifty-fifty. Eine Abstimmung über ein Referendum gäbe es dann erst nächste Woche. Entscheidend sei die Fragestellung. Wenn sie sich konkret auf das EU/IWF-Paket bezieht, würde SYRIZA den Fehde-Handschuh aufnehmen, für das Referendum stimmen und dann für ein Nein kämpfen. Mir erscheint die Strategie schlüssig.

Im Anschluss Treffen mit dem sozialdemokratischen griechischen Arbeits- und Sozialminister. Müde stellt er alle Kürzungen vor, die bereits vorgenommen oder noch in Planung sind. Ich frage nach der Rentenpolitik und Altersarmut: Die Durchschnittsrente liege bei 55 Prozent derjenigen in der Eurozone. Das griechische Renteneintrittsalter liegt im europäischen Durchschnitt. Dennoch wurden dieses Jahr folgende Kürzungen vorgenommen: Bei 800 Euro Rente -7 Prozent, bei 1500 Euro -15 Prozent, bei 2500 -30 und bei 3500 -40 Prozent. Die Rente für Mütter sei gleich ganz abgeschafft worden.

Mittlerweile treffen die Nachrichten aus Cannes ein, wohin Papandreou von Merkel und Sarkozy zitiert wurde. Ein Termin fürs Referendum wurde diktiert, wohl auch die Fragestellung, bis dahin werde die 8 Mrd-Tranche ausgesetzt. Pure Erpressung, als ob es kein griechisches Parlament gäbe. Dieses Vorgehen wird die EU-Begeisterung in Griechenland sicher nicht wachsen lassen.

Die jetzige EU-Krise ist vorläufiger Höhepunkt eines langen neoliberalen Irrwegs. Mit den Maastricht-Verträgen wurde die neue Währung auf rein monetärer Grundlage geschaffen - als Kampfansage an den Dollar. Wirtschaftliche - geschweige denn soziale - Koordinierung, die notwendig wird, wenn die Puffer der Währungsschwankungen in einem Raum großer Leistungsbilanzunterschiede wegfallen, waren nicht vorgesehen.

Mit dem Verfassungs- respektive Lissabonvertrag wurden die neoliberalen Planken der EU endgültig festgezogen. In allen Etappen wehrten sich die Menschen dagegen. Am 29. Mai 2005 lehnten 56 Prozent der Französinnen und Franzosen diesen Verfassungsvertrag ab. Es wäre die erste Verfassung der Geschichte geworden, die den Neoliberalismus als Wirtschaftsordnung festschreibt und die militärische Aufrüstung erzwingt. Kurze Zeit später taten es die Niederländer/innen gleich. Der Vertrag wurde auf Eis gelegt und einige Zeit später als Lissabonvertrag wieder neu aufgelegt. Merkels Mannen spielten in diesem Prozess eine Schlüsselrolle. Einzig in Irland war per Verfassung zwingend ein Referendum vorgesehen, die Mehrheit der Irinnen und Iren lehnte dankend ab. Ein Jahr wurde daraufhin das Inselvolk bearbeitet, dann stimmte das Ergebnis. Ein ungeheuerlicher antidemokratischer Vorgang!

Nun wird den Griech/innen die Pistole auf die Brust gesetzt. Stimm unseren Vorgaben zu, lass uns Troika-Beamte in Deine Regierung installieren - oder verschwinde aus der EU. Nicht einmal den Termin dürfen die Griechinnen und Griechen selbst bestimmen, auch die Fragestellung soll in Cannes festgelegt worden sein. Man hat Erfahrung mit der Erspressung unbotmäßiger Bevölkerungen.

Es ist völlig unklar, ob Papandreou am Freitag die Vertrauensfrage schafft und damit, ob es ein Referendum geben wird. Und es ist völlig unklar, wie es ausgeht, wenn es dazu kommt: Eine deutliche Mehrheit hier lehnt das EU/IWF-Paket ab. Eine deutliche Mehrheit möchte aber auch in der EU bleiben.

Eines ist jedoch klar: Ein Land muss den Anfang machen und sich diesen EU-Diktaten verweigern. Weitere müssen folgen. Ein friedliches, soziales und demokratisches Europa, ein Europa, das auf Solidarität beruht statt auf einer bis zum Wahn gesteigerten Wettbewerbsideologie, das von der Bevölkerung kontrolliert wird, nicht von den Banken und Finanzjongleuren, - ein solches Europa wird nicht ohne das Scheitern der gegenwärtigen Form der EU zu haben sein. Mögen die Tage einer finanzmarktgetriebenen EU gezählt sein!

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Andrej Hunko vor einer Friedensfahne

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